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Die fremde Frau und der Mann unter dem Bett

Schiffbau/Box
Premiere am 1. Oktober 2017
 

Sankt Petersburg, eine abendliche Strassenszene: ein herrschaftlicher älterer Mann im Waschbärenpelz redet verworren auf einen jungen Mann aus einfachen Verhältnissen ein, der vor einem Mietshaus auf das Erscheinen seiner heimlichen Geliebten wartet. Der ältere Herr bezeichnet sich selbst als Junggesellen und als einen „Unzurechnungsfähigen, einen fast Wahnsinnigen“. Tatsächlich ist er besessen und nicht minder gedemütigt von seinem Verdacht, alsbald seine Ehefrau mit ihrem Liebhaber in flagranti zu ertappen, und gerät auf seiner Verfolgungsjagd in zunehmend absurde Situationen. Frank Castorf, der im Sommer seine 25-jährige Intendanz an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin beendet hat, verknüpft diese Vaudeville-artige Erzählung über den Dämon der Eifersucht mit einer anderen Erzählung Dostojewskis: „Der Traum eines lächerlichen Menschen“ handelt von metaphysischen Themen wie dem „logischen Selbstmord“, der Rebellion gegen Gott, dem Sündenfall, Nächstenliebe und Demut bis hin zur ersehnten Kreuzigung des Ich-Erzählers.

„Hier kann man sich einen richtigen Theaterkater antrinken: Frank Castorf bringt zwei Erzählungen von Dostojewski auf die Bühne. Ein überzeugender Abend.“ Tages-Anzeiger

„Frank Castorf inszeniert zwei Dostojewski-Erzählungen im Züricher Schiffbau: Der Verlust der Volksbühnen-Intendanz bewirkt offenbar eine neue Stringenz und ein virtuoses Spiel zwischen Boulevard und russischer Verzweiflung.“ Deutschlandfunk Kultur

„Was Castorf tut, ist herzzerreissend unmodern. Allein dafür muss man ihn lieben. Seine Helden sind die Schauspieler, es sind immer Menschen, und je lebensuntauglicher sie im Leben – und auf der Bühne – stehen, umso mehr scheint er sie aus seinem Fleisch geschnitten. Wer sich in der Zürcher Arbeit das Schrille wegdenkt und sich alleine die stumme Riege der gottlos verlorenen Figuren vor Augen führt, wird sich an Christoph Marthaler erinnert fühlen. Castorf ist ein Marthaler des Ostens und einer politischen Verpflichtung. Wie bei jenem sind auch seine Menschen aus dem Paradies Vertriebene. Bei Marthaler dürfen sie stehen und ortlos warten; Frank Castorf aber fordert sie auf, zu kämpfen, um ein Dach, um einen Herd, um irgendeine Zugehörigkeit – und um den Glauben, dass das Paradies wieder zu erobern sei.“ NZZ

„Es ist ein Mix, aus dem die Theaterträume sind: Frank Castorf zeigt in der Box des Zürcher Schiffbaus „Die fremde Frau und der Mann unter dem Bett“ nach Erzählungen von Fjodor M. Dostojewski.“ Der Landbote

„Im Zürcher Schiffbau fügt Frank Castorf zwei Dostojewski-Erzählungen zu einem überwältigenden Badeerlebnis ineinander“ Nachtkritik.de

„Ein intensiver Theaterabend, der zwischen Traumbildern und Obsession oszilliert, aber immer wieder gebrochen wird durch selbstironische Slapstick-Einlagen, getragen von einem phantastischen Ensemble.“ NZZ am Sonntag

„Ein Hoch auf sie alle, auf das Zuviel, Zugross, Zulang dieses Abends.“ Tages-Anzeiger

„Das Ganze bringt Castorf so verspielt und umständlich, aber auch so in seinem eigenen Stil sicher aufs Theater, dass einen eine grosse Vertrautheit umfängt. Die Bühne baute ihm wieder Aleksandar Denić, ein wunderschönes Holzhäuschen mit Veranda, das als Datscha und Wirtshaus gleichermassen taugt. Drinnen wird fleissig Material für die Videoleinwand hergestellt, draussen treffen die Figuren in absichtsvoller Zufälligkeit aufeinander. Der beeindruckende junge Schauspieler Robert Rožić geistert als russisches Allzweckmedium herum, Johann Jürgens spielt Cello und singt mit Rožić zusammen ein dunkel-irrlichterndes Lied, Hunger-Bühler tanzt als Derwisch mit emotionalem Überdruck dazu. Das geht im Grunde so weiter und ist, da zerfahren, nicht immer so lustig wie in Dostojewskis Erzählung, aber in der gibt es keine Kathrin Angerer. Sie glitzert und leuchtet, ist Sehnsuchtspunkt aller männlichen Gelüste, die sie mit einem Augenzwinkern sortiert. In ihrer Souveränität der Mittel ist sie die Einzige, die auch eine Poesie hat, eine Not, eine bezaubernde Ruhe. Sexy ist sie ohnehin. Doch nur Komödie, das geht nicht. Also drängt „Der Traum eines lächerlichen Menschen“ dazwischen, als wären die anderen nicht schon lächerlich genug. Gottfried Breitfuss stemmt den Text, einen mäandernden Monolog, fast ganz allein, in grossen Blöcken, deren Textmassen er mit emotionaler Unabdingbarkeit durchdringt. Er beginnt im Zwiegespräch vor dem Spiegel und wird zu einem Propheten der menschlichen Narretei.“ Süddeutsche Zeitung

„Jetzt ist auch Zürich im Besitz einer dieser furios leidenschaftlichen Eruptionen und amorphen, assoziativen Castorfschen Dostojewski-Zurichtungen, und die Not ist gross. „Die fremde Frau und der Mann unter dem Bett“ heisst der Abend der grossen Affekte und grösseren Effekte, der dröhnenden Geschmacklosigkeiten, falschen Töne und gebrüllten Monologe – und der anrührendsten Verzweiflung, die man in ein Schauspielergesicht wie jenes von Robert Hunger-Bühler und Gottfried Breitfuss hineindenken kann. Und dann Kathrin Angerer! Castorfs Dostojewski-Begleiterin seit Beginn ist die Heilige und Hure mit allen einschlägigen Berufsqualitäten, Tippelschrittchen, Po-Wackeln, Fistel-Schnütchen. Mit ihrem ehelichen Sabbergreis (Siggi Schwientek) unterhält sie sich augenrollend wie mit einem kranken Pferdchen; mit ihren Liebhabern (Johann Jürgens, Robert Rožić) ist ihr stimmliches Spektrum ein Auswahlkatalog der Lust.“ NZZ

„Jeder Wechsel zwischen den Texten, die primär durch die Montage und Kathrin Angerer verbunden sind, ist einer. Angerer stöckelt in ihrer eigenen Mischung von Zerbrechlichkeit und Verruchtheit durch die Szenen beider Texte. Der absurden Komödie steht ein einsamer Mann gegenüber, der beschlossen hat, sich zu töten, und unmittelbar davor im Traum stirbt und in ein elysisches Land getragen wird. Er glaubt, das Böse dorthin zu bringen, wofür er mit seiner Kreuzigung büssen will, damit „das Glück wieder wichtiger wird als die Erkenntnis über die Gesetze des Glückes“. Gottfried Breitfuss spielt diesen Mann in Videogrossaufnahme oder beim Kopfsprung in den Pool in Form eines orthodoxen Kreuzes in seiner Verzweiflung eindrücklich. Und mit seinen tänzelnden Auf- und Abtritten schliesst er an Hunger-Bühlers verzweifelte Komik an – überhaupt passt die Besetzung hervorragend.“ Basler Zeitung

„Frank Castorf collagiert Dostojewskis Erzählung „Der Traum eines lächerlichen Menschen“ in das andere Stück hinein; und ein grandioser Gottfried Breitfuss gibt die suizidale, misanthropische Hauptfigur. Ein Traum übers Paradies und dessen Untergang verwandeln den Frust-Fan in den Propheten einer pseudochristlichen Agape. Er erlebt die Qualen der Liebe 2.0.“ Der Bund

„Die eigentliche Heldin des Abends, den Castorf nach nur vier Stunden enden lässt, heisst indes Kathrin Angerer. Sie ist ein Volksbühnengewächs, und sie gleitet durch alle Höhen und Tiefen der Aufführung, als gehe sie das ganze Gewese der Männer ziemlich wenig an.“ Badische Zeitung

„Siggi Schwientek kann sehr metaphysisch husten – wie er überhaupt alles kann, was sehr alte Männer machen. Sein Ruf nach Schafgarbentee hallt nach. Auch er: ein lächerlicher Mensch. Neben ihm: Kathrin Anger. Sie schaut, wie Frauen schauen, wenn sie ihren Mann für sehr überflüssig halten – und setzt sich auch sonst ganz toll in Szene. Sie kann durch die Geschichten fliegen und auch tauchen, sie ist der Engel, das Kind, die Ehefrau, die Geliebte.“ Zürichsee-Zeitung

„Die zweite Erzählung ist der Monolog eines „lächerlichen Menschen“, eines potentiellen Selbstmörders, der sich durch alle Stadien des Nihilismus wühlt und dabei doch seinen Gott und das richtige Leben sucht. Seine Begegnung mit einem kleinen, von der Mutter verlassenen Mädchen bewirkt eine Art innere Umkehr, eine neue Reflexion. Aber besonders die Phasen der (moralischen) Verlassenheit werden in Zürich von dem grossartigen Gottfried Breitfuss mit tiefer Verzweiflung begreiflich gemacht.
Diese beiden Ebenen sind schön ineinander geblendet, und Castorf inszeniert das in einem muffigen, sehr russischen Bühnenbild von Aleksandar Denic, in einem heruntergekommenen Gasthof aus dem 19. Jahrhundert mit Dachkammer. Wie üblich mit Live-Kamera in den Innenräumen, anfangs eher hysterisch, mit zunehmender Spieldauer aber immer ernsthafter um die Figuren bemüht, die wie immer ständig die Rollen wechseln.
Die wahnwitzige Kathrin Angerer spielt kokett das kleine Mädchen, das den Selbstmörder trifft, und wird dann zur sexualisierten Ehefrau, der alle hinterherlaufen – ein teenagerhafter Vamp mit Schmollmund. Robert Hunger-Bühler ist als eifersüchtiger Ehemann im Pelzmantel quasi die Spiegelung des „lächerlichen Menschen“ aus dem Selbstmörder-Monolog – ein brüllender, schwitzender, von seinen Projektionen gepeinigter Mensch. Siggi Schwientek macht aus dem greisen Gatten, unter dessen Ehebett Hunger-Bühler versehentlich enden wird, eine ungeheuer komische Nummer – selten so gelacht bei Castorf.“ Deutschlandfunk Kultur

„Gottfried Breitfuss kann sich aber in seinen Wörtern ganz leicht machen, dann fliegt er im Traum zu dem Stern zwischen den Wolken hinauf: In ein Paradies, das die bessere Welt bedeuten könnte – wenn es nicht schon längst mit dem Bösen infiziert wäre. Lächerliche Menschen landen immer dort, wo sie schon einmal waren.“ Der Landbote

„Die Wolga wälzt sich jetzt mitten durch den Schiffbau (wie passend) in Zürich. Sie reisst jeden Wunsch nach Klarheit, einfacher Deutung und einer überschaubaren Geschichte mit sich. Sie wirbelt alle und alles durcheinander und hat mit Kathrin Angerer eine Schauspielerin ans Ufer Land gespült, die in dieses gepflegte Zürcher Ensemble platzt wie eine Naturgewalt.
Ob sie als kleines Mädchen mit einem Stock und einem Stück Kreide bewaffnet in den Krieg zieht gegen Polen, Amerika, Russland und Deutschland, ob sie mit der absurden Geschichte eines Schlittenunfalls von ihrem Seitensprung ablenken möchte. Oder ob sie würdevoll, aber mit geballter Verachtung hinabschaut auf ihren greisen, erbärmlich hustenden Gatten (Siggi Schwientek) – sie steht immer im Zentrum. Die Wolga ergreift auch Hiesige, macht aus Robert Hunger-Bühler einen wütenden, wahnsinnigen Ehemann, der in den Strudel der Eifersucht gerät, sich mit dem Liebhaber seiner Frau (Johann Jürgens) um Kopf und Kragen redet, in der Oper einen Theaterzettel abfängt und sich mit Posaune unter dem Bett einer fremden Frau wiederfindet, unter dem schon ein anderer Mann liegt. Am Ende ist der Hund der Frau tot und Robert Hunger-Bühler, der lange nicht mehr so quirlig-quecksilbrig gespielt hat, steht mit ewig-müdem Gesicht vor der eigenen Ehefrau.“ Nachtkritik.de

„Gegen das Ende beginnt der Schnee zu fallen, als Isis- und Osiris-Figuren stehen Ilona Kannewurf und Robert Rožić da. Ein schönes letztes Bild, ein sehr schöner Abend.“ Zürcher Oberländer

Mit Kathrin Angerer, Gottfried Breitfuss, Robert Hunger-Bühler, Johann Jürgens, Robert Rožić, Siggi Schwientek, Ilona Kannewurf
Regie
Frank Castorf
Bühne
Aleksandar Denić
Kostüme
Adriana Braga Peretzki
Licht
Lothar Baumgarte
Dramaturgie
Amely Joana Haag
Regieassistenz
Manon Pfrunder
Bühnenbildassistenz
Sandra Antille
Kostümassistenz
Sabrina Bosshard
Prompter
János Stefan Buchwardt
Inspizienz
Ralf Fuhrmann
Second Live-Camera
Seraina Scherini
Live-Cut
Andi A. Müller, Vanessa Püntener
Regiehospitanz
Nathalie Rausch, Alexandra Wittmer, Selina Rohr
Boom
Mira Hirtler
Video and Live-Camera
Andreas Deinert

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