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Editorial

Die kommende Spielzeit wird besonders. Zum einen durch aussergewöhnliche Inszenierungen. Zum anderen, weil sie unsere letzte Spielzeit hier sein wird. Das bedeutet natürlich etwas – für uns, vielleicht aber auch für Sie. Vielleicht werden Sie Stücke unter dem Eindruck des «zum letzten Mal» wahrnehmen. Vielleicht werden einige von Ihnen auch die Debatte um das Schauspielhaus Zürich noch im Hinterkopf haben, die polemische, auch politisch motivierte Anteile in sich trug – die letztendlich aber als Debatte wichtig ist und wichtig bleiben wird. Sie muss weitergehen – auf andere Art vielleicht, getragen von der Bereitschaft, einander zuzuhören: Wohin will sich die Stadt Zürich und wohin soll sich das Theater der Stadt entwickeln? Was ist ihr das Schauspielhaus wert? Für wen soll es sein?

In der Vorbereitung auf diese Spielzeit wiederum haben wir nicht so viel anders gemacht als sonst auch. Wir wollen, dass Theater sinnlich ist und Spass macht. Und wir haben weiter versucht, die Gegenwart zu reflektieren – etwa mit den Uraufführungen von Kim de l’Horizons Blutbuch, von Virginie Despentes Liebes Arschloch oder der Oper Carmen durch die Augen und Ohren des Performance-Kollektivs Moved by the Motion. Aber auch in der Inszenierung von Brechts Leben des Galilei – auf den Tag genau 80 Jahre nach der Uraufführung im Pfauen: einem Stück über Fortschritt und die Kräfte, die ihn aufhalten wollen.

Und wie jedes Jahr gestalten wir die Spielzeit mit Menschen, an die wir als Künstler*innen glauben und an deren Vermögen, Theaterarbeiten zu schaffen, die in ihren Bedeutungsebenen und sinnlichen Qualitäten viel grösser sind, als jede Debatte es abbilden könnte. Wir freuen uns, in dieser letzten Saison im Zentrum wieder mit denselben acht Regisseur*innen zusammenarbeiten zu können, mit denen wir in unserer ersten Spielzeit 2019/20 angetreten sind, um das Theater für neue Ästhetiken und Produktionsprozesse zu öffnen: Neben den Hausregisseur*innen Leonie Böhm, Suna Gürler, Trajal Harrell, Christopher Rüping, Wu Tsang und natürlich Nicolas Stemann kehren Alexander Giesche und Yana Ross für je eine Neuinszenierung zurück. Auch Christiane Jatahy ist wieder mit dabei und neu stösst Joana Tischkau dazu (S.42). Verbunden durch die Zusammenarbeit mit dem Ensemble und diesen Künstler*innen – und damit einer Konstellation von Menschen, die so nie wieder an einem Ort zusammenkommen wird – ist erlebbar, was Kunst bewirkt und wie diese ein Haus und dessen Publikum verändern kann. Erlebnisse, wie sich mit und durch diese Menschen und weitere Kolleg*innen der Theaterbetrieb und Produktionsprozesse langsam wandeln und öffnen. Schliesslich Erlebnisse, die uns mit Ihnen verbunden haben: unserem Publikum.

Diese Verbindungen sind es, die für uns wichtig waren und wichtig sind. Sowie das Gefühl von einem Prozess des lebendigen Wandels, der ausserordentlichen Kunst und der mutigen und entschiedenen Neugier. Die Unterstützung, die wir für diesen Wandel und auch als Reaktion auf die Ankündigung der Nichtverlängerung unserer Verträge in den letzten Monaten erfahren durften, durch pointierte Wortmeldungen, Solidaritätsbekundungen und offene Briefe hat uns berührt und wir sind dankbar dafür. All diese Begegnungen sind es, die bleiben. Auch in Form dieses Heftes, wofür wir einige der Menschen, die sie ausmachen, fotografieren durften. Das, was für Sie bleiben soll, entscheiden auch Sie. Wir freuen uns auf die kommende Spielzeit mit Ihnen.

Herzlich,
Ihre Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann