«Ein klares Gandalf-Zitat!»

Im Team von Riesenhaft in Mittelerde™ gibt es sowohl Menschen, die sonst nicht viel mit Herr Der Ringe™ anfangen können. Und Fans, die alles dazu wissen. Oder fast alles. So zum Beispiel Nikolai Gralak (Schauspieler Theater Hora), Rosa Stehle (Produktionsassistenz), und Stephan Stock (Regisseur Theater Hora). Mit ihnen sprachen Giorgio Dridi (Hospitanz Dramaturgie und Bendix Fesefeldt (Dramaturg).


by Giorgio  Dridi
published on 08. May 2023

Giorgio: Wie war eure erste Begegnung mit Herr der Ringe?

Nikolai: In meiner frühen Jugend habe ich das Hörspiel gekauft, damals noch auf Tonband. Die Geschichte und die Magie darin interessierten mich.

Rosa: Mein Onkel hatte die gebrannten Kassetten mit Drucken aus dem Buch drin und mein Vater las uns den Hobbit als Gutenachtgeschichte vor. Es interessierte mich, weil es ein Märchen mit Trollen, Zwergen und Drachen war. Ich erinnere mich an diese gruseligen Zeichnungen aus dem Buch, wie Bilbo mit seiner langen Nase.

Stephan: Ich habe dreimal die Bücher angefangen und wieder weggelegt, weil der Anfang so langweilig ist. Das erste Mal mit zehn versucht, viel zu früh! Mit zwölf habe ich es wirklich gelesen. Meine Mutter besass eine Version aus den Siebzigern, welche abgenutzt herumlag, bis das geile Auge auf dem Cover mich erblickte.

Rosa: Bei uns war es genau andersrum. Den Anfang fand ich mega gut. Wir hatten das in sechs Bänden gehabt, nicht in drei. Das letzte Buch habe ich tatsächlich nie zu Ende gelesen. Ich konnte nicht mehr. Ich habe mich ein halbes Jahr mit dieser Mordor-Beschreibung rumgeschleppt und schlussendlich aufgegeben.

Bendix: Könnt ihr sagen, was für euch in diesem Kosmos den Zauber ausgemacht hat?

Nikolai: Ja, schlicht und einfach die Magie.

Stephan: Ich konnte mich total mit Frodo identifizieren, weil ich auch in einem saulangweiligen Dorf wohnte, in dem niemand etwas ausprobieren wollte - wie Hobbits. Ich spürte eine krasse Sehnsucht nach Abenteuer, dass jemand mich abholt und in eine Abenteuerwelt stösst. Wie bei Harry Potter oder eben Frodo. Diese Geschichten von Jungs, die ein ganz normales Leben führen und dann, ohne etwas dafür tun zu müssen, kommt irgendjemand und gibt ihrem Leben einen Sinn. Ich träumte eines Tages, wer weiss, kommen die Eule oder der Zauberer und holen mich da raus.

Rosa: Ich finde die Natur mega schön. Es geht mir bis heute so, dass wenn ich im Wald mit meinen Geschwistern spazieren gehe, wir automatisch anfangen, rumzurennen, auf Steine zu springen, Herr der Ringe zu zitieren und Legolas zu spielen. Dieses Gefühl von Freiheit hat mich gereizt. Bei mir kam das erst mit den Filmen, dass ich eine Faszination dafür entwickelt habe. Ich stand früher richtig auf die Schlachten, gerade Legolas und Gimli fand ich witzig, wie sie immer die Menschen und Orks zählen, die sie umbringen. Sicherlich habe ich damals schon gemerkt, dass es problematisch ist, dennoch blieb da eine Anziehungskraft. Außerdem fand ich die Frauen cool, auch wenn es nur wenige gibt. Für mich waren das starke Charaktere, starrköpfig, die einfach ihr Ding machen.

Giorgio: Du hast es gerade angetönt. Hat sich eure Sicht auf den Stoff verändert mit der Zeit?

Nikolai: Meine Sicht hat sich eigentlich nicht verändert. Ist immer noch cool, wie vor 16 Jahren schon.

Stephan: Ich hatte alle Bücher einmal im Jahr um Weihnachten gelesen und war richtig Fan. Als ich nochmal mit allen in der Produktion die Filme geschaut habe, fühlte es sich wie eine Arbeit an, weil mir die problematischen und altmodischen Narrative stärker auffielen.

Nikolai: Und wie ist deine Sicht auf die Serie The Ring of Power?

Stephan: Ich habe es noch nicht gesehen, weil es mich nicht interessiert, trotzdem habe ich mich auf das Projekt vorbereitet. Dann kam diese Serie auf Amazon und es beschwerten sich alle, dass Hobbits oder Elben von People of Color gespielt werden. Es folgte viel Streit im Internet und ich merkte, wie viele konservative Menschen unter den Fans sind. Dann meinte plötzlich die italienische Präsidentin Meloni, sie sehe in Italien ein Mittelerde, das sie gegen die Orks verteidigen muss. Dann hat Putin seinen treuen Kollegen neun Ringe der Macht geschenkt. Im Ukraine-Krieg hieß es dann plötzlich, die Russen seien Orks. Alle kramten diese Bilder wieder aus. Ich fragte mich, was los ist. Es hat gefühlt 10 Jahre keiner über dieses Thema geredet und nun werden diese schlimmen Vergleiche benutzt.

Rosa: In den Filmen wurde Weiss gut und Schwarz böse dargestellt. Ich finde es schade, dass ich dieses Konzept so lange für gegeben genommen habe. Die Schlachten erscheinen mir kriegsverherrlichend, dennoch gibt es auch andere Kriegsfilme, was per se nicht etwas Schlimmes ist.

Bendix: Wie geht das Fan-Herz mit Kritik um? Gibt es da einen inneren Widerspruch für oder kann man das lösen?

Nikolai: Es ändert nichts an der Geschichte. Was in den Büchern, Hörbüchern und Filmen ist, bleibt wie in Stein gemeißelt.

Rosa: Ich fand es am Anfang der Proben schwer, dass das Schauen der Filme als Qual bezeichnet wurde. Dann habe ich gemerkt, dass die ganzen Namen, Orte und Verzweigungen in der Geschichte für Menschen überfordernd sein können, die keine Kindheitserfahrung mit dieser Welt haben. Wenn Fans im Raum sind, kann man es anders formulieren, dennoch habe ich volles Verständnis.

Stephan: Diese Kritik ist nicht so schlimm für mich. Ich habe mich für die fehlende Realisation geschämt, wie sehr dieses Buch für mich, einen traurigen kleinen Jungen geschrieben war. Obwohl ich mich mit Frodo identifizieren konnte, hat dieses Buch mit vielen anderen Lebensentwürfen nichts zu tun. Jeder Mensch hat seinen eigenen Erfahrungshorizont und einige haben eine Sehnsucht danach, Gut und Böse klar zu trennen. Ich komme aus einer Zeit, in der ich voll verwirrt war. Als ich bei meiner Mutter, meiner Tante, meiner Oma auf dem Dorf aufgewachsen bin und uns alle komisch fanden und über uns geredet haben, wünschte ich mir Klarheit, weil keiner mit mir spielen wollte. Andere wurden in eine Klarheit rein gedrängt und wollten nur da raus. Ich glaube, Tolkien versuchte nach dem Ersten Weltkrieg, in dem er an der Front kämpfte und viele Freunde verlor, Klarheit zu schaffen. Nach diesem Krieg wollten sich Menschen von allen Kategorien befreien, wie zum Beispiel im Dadaismus. Andere wie Tolkien erschaffen eine Welt, in der das Gute noch gut und das Böse noch böse ist. Ich gehöre zur Kategorie “Klarheit”. Ich empfinde das als ein bisschen uncool, aber auch wahr. Deswegen sind die Bücher nur Fantasie für mich. Tut ja niemandem weh. Das stimmt leider auch nicht ganz, weil sie als Form von Buch oder Film in die Welt eindringt und die Vorstellung von allen wird. Deswegen denke ich, dass diese Bücher nur Fantasie sind. Tut ja niemandem weh. Aber das stimmt leider auch nicht so ganz, weil Fantasie, sobald es ein Buch oder ein Film ist, in die Welt eindringt. Die einen wollen wie bei The Ring of Power ihre Fantasie erweitern und andere sagen: “Nein, es ist wie in Stein gemeisselt”. Ich weiß nicht, ob man damit weiterkommt, weil nichts in Stein gemeisselt ist, weil all das immer wieder neu erfunden wird, weil sich alles verändert, die ganze Zeit. Die Welt ist im Wandel.

Giorgio: Du sagst es. Alle haben ihre eigene Fantasie. Aber jetzt trotzdem noch zu Tolkiens Fantasie. Wenn ihr könntet, welche Frage würdet ihr ihm stellen?

Stephan: Ich glaube, ich würde ihn gern fragen, wovor er Angst hat. Im Leben. Ich finde es nicht so richtig raus in den Büchern und wenn ich ihn so sehe. Ich habe das Gefühl, er hat ganz dolle Angst vor irgendwas. Ich wüsste gern, was das ist, weil ich glaube, dass jemand, der sich diese ganze Welt ausgedacht und diese Bücher geschrieben hat, von irgendetwas auf dieser Welt überfordert ist.

Giorgio: Kennst du das auch selber, dass du in deiner Kunst deine Ängste ausdrückst?

Stephan: Ja, ich finde es immer gut, sie auf der Bühne zu veröffentlichen. Die Fantasie ist ein schlaues Mittel, weil man nicht alles zugeben muss und sich gleichzeitig einen Umgang damit ausdenken kann. Trotz der vielen fragilen Momente in Herr der Ringe, spüre ich Tolkiens Ängste noch nicht ganz raus. Trotzdem trösten mich die Verlorenheit und das Verlangen nach Klarheit, die der Autor ausdrückt.

Nikolai: Keiner kannte ihn.

Rosa: Vielleicht würde ich ihn tatsächlich fragen, warum er so wenig Frauen besetzt hat. Aber ich würde gerne allen Menschen aus der Zeit sagen, dass Frauen ziemlich cool sind.

Giorgio: Was hat Herr der Ringe mit heute zu tun?

Nikolai: Putin erscheint mir aktuell wie Sauron mit seinen Ringen der Macht und dem Krieg.

Rosa: Es klingt vielleicht naiv, aber für mich ist es etwas Fiktionales, ansonsten könnte ich es mir nicht anschauen und nichts daraus gewinnen. Klar kann man sagen, die Welt teilt sich in Gut und Böse, aber so einfach ist es nicht.

Stephan: Ich glaube, man kann es immer auf reale Sachen beziehen. Die russischen Soldaten, die als Orks bezeichnet werden oder Putin als Sauron. Das ist eine Strategie, die Hoffnung gibt, dass das Böse entdeckt wurde und man nun weiß, was man tun muss, damit alles wieder gut wird in der Welt. Im Endeffekt ist es, wie du sagst, eine Fantasie. Das Neue an dem Buch ist, dass sich ein Mensch ein ganzes Leben lang mit Sprachen auseinandersetzt und eine riesige Welt erschafft. Was heißt das denn? Was heißt es, auf unserer Welt zu sein? Das bedeutet erstmal gar nichts. Du kannst einfach nur schauen, welchen Weg du aus dieser Masse von Informationen baust. Man ist in der Welt und muss sich eine Geschichte machen. Das ist für mich das Aktuelle daran, dass ich auch eine Reise durch eine geheimnisvolle Welt mache und das Gefühl habe, sie ist mega wichtig. Aber das ist auch vielleicht krasser Quatsch.

Giorgio: Und das würde ja dann auch heissen, dass du Gut und Böse gar nicht so krass trennst, sondern beides in dir siehst.

Stephan: Ich merke, wie ich früher dachte, dass ich weiss, was Gut und Böse ist. Jetzt bin ich mir gar nicht mehr so sicher. Vielleicht bin ich in zehn Jahren der alte Zauberer, der zur nächsten Generation, wie Gandalf zu Frodo bei Gollum sagt: “So, warum? Warum willst du den töten? Du weißt doch gar nicht, was er noch in seinem Leben vor hat. Du weißt doch gar nicht, wer das ist.” Am Ende ist das Tolle an dem Buch, dass trotz all dieser Schwarzweißmalerei, die wahre Heldenfigur, die am Ende die Lösung bringt, genau an der Grenze dieser Sachen lebt. Der äußerlich als hässlich, krumm und gruselig beschriebene Typ, der am Ende doch die ganze Welt rettet. Das trägt das Buch in die Moderne. Das ist, was Gandalf immer sagt. Du weißt nicht, was noch alles passieren wird, deswegen pass auf, wenn du ein Urteil triffst. Viele, die gestorben sind, hätten es verdient zu leben und viele, die leben, hätten es vielleicht verdient, für sie zu sterben. Aber solange du den Leuten, die tot sind, das Leben nicht zurückgeben kannst, solltest du den Lebenden auch nicht sagen, sie sollen sterben.

Nikolai: Ja, ein klares Gandalf-Zitat!

Stephan: Auf jeden Fall!

Bendix: Diese Sehnsucht nach Fantasy ist auch eine nach Magie, wie du sagtest Nikolai. Ich kann das total gut nachvollziehen. Deswegen träume ich mich in diese Fantasiewelten rein. Gibt es Dinge in dieser Welt, wo ihr sagt, Magie existiert auch außerhalb von Fantasy?

Nikolai: Sollte schon! Ja, weil man immer sagt, Gott und Teufel sind existent. Warum also nicht Magie? Was sie bewirken kann, sieht man ja immer wieder. Schau dir mal das neue Computerspiel Hogwarts Legacy an! Ich schaue mir momentan Let's Plays von dem Spiel an, einfach geil! Ich hab's zwar noch nicht selbst gespielt, hole mir dann die Version für PS4 noch. Und dann zocke ich das voll durch!

Stephan: Ich finde Fantasy und Magie liegen relativ nah beieinander. Manchmal habe ich das Gefühl, wenn sich Leute zusammen etwas vorstellen und es umsetzen, ist das magisch, wie ein Theaterstück.

Rosa: Ich bin zu rational dafür, trotzdem glaube ich an magische Momente. Das ist alles beweisbar, von daher nicht wirklich Magie. Die Natur, der menschliche Körper, oder wie Farben oder Babys entstehen, das finde ich schon verrückt. Kitschige Sachen wie Sonnenuntergänge sind magisch, aber nicht eine Art Zauberei. Manchmal ertappe ich mich, wie ich es schön fände, wenn es das geben würde. Tatsächlich glaube ich nicht, dass es das gibt, zumindest nicht in unserem Universum.

Bendix: Wie würden deine Zauberkräfte aussehen, Nikolai?

Nikolai: Ich wäre ganz klar ein grauer Zauberer, der sowohl die Dark Arts als auch die White Arts nutzt. Manchmal muss man das Böse einfach mit seinen eigenen Mitteln schlagen.

Bendix: Es geht viel um Gemeinschaft. Das erste Buch heißt: Die Gemeinschaft des Ringes. Könnt ihr sagen, wie ihr Gemeinschaft in Bezug auf die Proben erlebt?
Stephan: Ich finde, das hat viel damit zu tun, dass sich alle wohl und gesehen fühlen und sich auf ihre eigene Art und Weise ausdrücken können. Das lässt mich immer denken: Hoffentlich wird unser Stück so, dass es nicht zusammenpasst.

Nikolai: Wieso meinst du?

Stephan: Manchmal versucht man ein Theaterstück zu finden, das rund wird, aber wenn es um das Thema Gemeinschaft geht, darf es nicht zu rund werden. Weil immer, wenn es so wird, muss man die Ecken abschneiden. Ich will nicht eine Gemeinschaft, die krass aggressiv behauptet: “Wir funktionieren auf so eine harmonische Art und Weise. Alles ist gut, immer und alles ist rund.” Das macht mir immer Angst. Ich sehe jeden einzelnen so, wie er ist und es passt garnicht zusammen. Es darf so ein, dann fühle ich mich wohl.

Giorgio: Das andere wäre wie eine Sekte.

Stephan: Genau! Ich will nicht das Gefühl haben, es müsse alles gleich sein, sondern eben ein Gefühl von Gemeinschaft. Das heißt für mich, dass man miteinander sich selbst sein kann. Man braucht Regeln, aber auch ein kleines bisschen Chaos. Wir lassen einander zu und halten das Chaos aus. Es gefällt mir richtig gut.

Nikolai: Das Chaos sollte einfach nicht zu gross sein.

Stephan: Genau, du musst eine Balance finden.

Rosa: Ich habe die Gruppe gemeinschaftlicher als in anderen Probenprozessen erlebt, weil es viel mehr darum geht, eine Gemeinschaft zu finden. Das finde ich richtig schön. In einer Gemeinschaft muss es Individualismus geben dürfen, damit sie spannend bleibt und nicht uniform wird. Die richtige Balance fordert die Gruppe heraus. Ich finde es spannend, dass man immer kontinuierlich daran arbeiten muss und sich nicht ausruhen kann.

Stephan: Nikolai, wie erlebst du unsere Gemeinschaft mit den Helmis und den Hausis?

Nikolai: Einklang.

Bendix: Wie die Valar?

Nikolai: Na gut. Melkor gehörte auch zu den Valar. Er sagte sich jedoch von den Valar los, erklärte sich zum Alleinherrscher von Mittelerde und überzog die Elben und Menschen im Ersten Zeitalter mit Krieg.

Stephan: Das machen wir besser.