published on 15. February 2023

Miriam Ibrahim: Wie kam es zu dieser zweiten Zusammenarbeit mit Suna Gürler?

Nach Bullestress war uns klar, dass wir wieder etwas miteinander machen wollen. Dass es dann so schnell wieder klappen würde, hatte aber niemand geahnt. Bereits beim Prozess von Bullestress drängten sich Fragen auf wie: Was passiert, wenn man sich zugesteht, wütend sein zu dürfen? Wie lang ist der Weg dahin? Ab wann ist das, was vielleicht in einem emanzipatorischen Prozess von «Komm, trau dich mal hässig zu sein, du darfst das!» entstanden ist, dann doch zu viel? Wann schadet man sich selbst, weil man dabei alles an Beziehungen und Möglichkeiten abbrennt? Gleichzeitig interessierte es uns, einen Raum zu schaffen, in dem migrantisierte respektive marginalisierte Wut dargestellt wird – und auch einmal eskalieren darf.

Miriam Ibrahim: Wie kann mensch sich den Entstehungsprozess des Texts von Ich chan es Zündhölzli azünde vorstellen?

Wir schrieben dieses Stück durchgehend gemeinsam. Das bedeutet, jeder Satz wird diskutiert. Das dauert zwar manchmal doppelt so lange, aber dafür entsteht ein stilistisch homogener Text, in dem sich unsere beiden Positionalitäten vereinen. Diesem Prozess voraus gingen intensive Brainstormings mit Suna Gürler und Miriam Ibrahim.

In der Recherche wiederum tauschten wir uns mit Menschen aus, die zum Thema Wut und Wutverdrängung geforscht haben. Ausserdem haben wir Leute interviewt, die wie unsere Hauptfigur Yalaz dolmetschen und/oder beruflich mit Ausschaffungen zu tun haben. Sehr aufschlussreich war es auch, mit migrantisierten Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, über deren unterdrückte Wut und Frustration in Interviewsituationen zu sprechen.

Miriam Ibrahim: Welche Schwierigkeiten habt Ihr wie überwunden? Und welche schönen Erlebnisse gab es?

Während des Schreibprozesses mussten wir immer wieder innehalten und uns fragen, wie wir jungen Menschen einen «konstruktiven» Umgang mit der eigenen Wut vermitteln können. Aber wie soll das gehen, wo wir doch selbst jedes Mal ausrasten, sobald jemand zum Beispiel das Wort «konstruktiv» benutzt?

Aber im Ernst: Eine Schwierigkeit ist, das wenn man sich über Monate mit dem Thema Wut beschäftigt, man selbst plötzlich häufiger wütend wird bzw. es einem mehr auffällt. Das war aber auch lehrreich! Wir haben durch diese Auseinandersetzung gelernt, dass es tatsächlich auch «konstruktiv» sein kann, laut zu streiten und Einblick in die eigenen Emotionen zu gewähren.

Miriam Ibrahim: Was hat es mit dem Titel auf sich? Wie kamt ihr darauf und was bedeutet er für euch?

Eine Drohung eines Individuums, das sich der Kraft der eigenen Wut bewusst ist? Eine selbstermächtigte Geisteshaltung? Ein Hinweis auf gefährliches Eskalationspotenzial, das ernst genommen werden will? Eine Umformulierung? Eine Aufforderung? Eine kulturelle Aneignung? Eine Kampfansage? Ein Mantra?

Aber vielleicht auch ein Hinweis darauf, dass es noch nicht brennt, eben weil das Zündhölzli bewusst nicht gezündet wurde?

Miriam Ibrahim: Wenn ihr schreibt, stellt ihr euch ein bestimmtes Publikum vor? Und was macht eine bestimmte Vorstellung mit eurem Schreiben?

Verschiedene Publika! Diese Produktion ist dahingehend sehr spannend. Es stehen gestandene Profis zusammen mit Jungspieler*innen auf der Bühne. Und zwar auf der Pfauenbühne, die traditionell eher ein bildungsbürgerliches und weisses Publikum anzieht, während wir uns generell ein heterogenes Publikum erhoffen. Wie schreiben, wenn wir im Publikum gleichermassen Schulklassen, Theater-Stammpublikum, politisch-aktivistisches Publikum etc. haben? Eine solche Durchmischung erfordert Kompromisse. Nicht alle werden alle Anspielungen verstehen, manches ist für die jüngeren Leute, manches für Theateraffine, you name it. Mit der Wut als übergeordnetem Thema haben wir aber dankbarerweise eine Emotion, mit der wirklich jeder Mensch in Berührung kommt.

Miriam Ibrahim: Was ist euch wichtig in eurem Schreiben zu transportieren? Gibt es da bestimmte Herangehensweisen?

FEUER!

Miriam Ibrahim: Was bedeutet es für euch, in der heutigen Zeit Theaeterstücke zu schreiben?

Erstens ist es uns eine Ehre. Zweitens: «Schreiben für die Ewigkeit» ist wegen der Klimakrise etwas weniger stressig geworden; der Text muss zwar fertig werden, bevor die Welt untergeht, trotzdem muss er weniger lang aktuell bleiben. Das bedeutet (drittens) im Umkehrschluss, dass wir uns sehr gerne erlauben, umso genauer in die Debatten und Probleme der heutigen Zeit einzutauchen. Und das ist gar nicht so einfach: Für welche der vielen zeitgenössischen Probleme, die wir seit der Digitalisierung auch noch alle mitbekommen, entscheiden wir uns zu schreiben?

Bezogen auf unseren Kontext als Künstler*innen geht es zusätzlich auch immer um die Frage, wie man es hinkriegt, ein Stück zu schreiben, das sich zum Zeitgeschehen verhält, ohne dass es einzig als politischer Kommentar gelesen wird, sondern künstlerisch integer bleibt.

Miriam Ibrahim: Was ist politisches Schreiben für euch?

Die Erkenntnis, dass es kein Schreiben gibt, das nicht politisch ist. Das liegt zu zweit nochmal klarer auf der Hand, weil sich sehr schnell Unterschiede in der Wahrnehmung der Welt auftun, die diskutiert und ausgehandelt werden müssen, damit schliesslich gemeinsame Haltungen entstehen können. Politisch schreiben bedeutet für uns aber auch, sich einen Raum zu geben, in dem wir Unsicherheiten zulassen, wir Haltungen revidieren, weiterentwickeln, uns informieren und nicht zuletzt eben auch mal hässig werden können.