Wir sind hier!

published on 14. June 2020

Wie seid Ihr am Schauspielhaus Zürich gelandet?

Judith: Ich rannte bereits als sechsjähriges Mädchen hier im Theater herum. Meine Familie war mit dem Schauspielhaus verbandelt. Vor 33 Jahren fing ich dann die Ausbildung zur Maskenbildnerin an. Neben Aushilfen im Opernhaus, Zirkus Monti und den Freilichtspielen, behielt ich immer ein Bein im Schauspielhaus. Seit 2013 leite ich hier die Maskenabteilung.. Dabei interessiere ich mich nicht einmal für Beauty und habe selbst kein Makeup zu Hause. Was mich am Theater fasziniert, ist die Verwandlung. Ich finde es spannend, wie ich jemandem helfen kann, in eine Rolle zu schlüpfen.

Jasmin: Das ist ein schöner Gedanke. Ich spiele schon Theater seit ich 8 Jahre alt war und habe die Atmosphäre immer schon als ein Zuhause empfunden. Nach der FMS wollte ich Theater studieren. Beim Vorsprechen habe ich jedoch gemerkt, dass ich noch nicht bereit dazu bin. So bin ich zu der Ausschreibung des Theaterjahres gekommen. Bei diesem Vorstellungsgespräch konnte ich einfach ich selbst sein und es hat geklappt. Jetzt sind wir fünf mega coole Frauen, die ein Jahr lang so viel lernen und sehen konnten. Beim Theaterjahr kann man neben der Mitgestaltung von Workshops, den Jugendclubs und der Offenen Bühne in alle Abteilungen reinschauen, die einen interessierten. Dabei habe ich auch gelernt, was ich nicht möchte. Und selber gemerkt, was mir am Theater eigentlich Spass macht.

Judith: Und es zieht dich wieder auf die Bühne...

Jasmin: Ja genau, ich spiele bei Frühlings Erwachen mit!

Judith: Das Frühlings Erwachen hat wieder alles geweckt.

Jasmin: Ja stimmt!

Wie habt Ihr letztes Jahr den Frauenstreik am 14. Juni verbracht?

Jasmin: In dieser Zeit habe ich in Zürich in einem Restaurant gearbeitet. Alle meine Freunde waren beim Streik dabei – und ich wollte auch gehen. Ich wusste aber damals nicht so genau, was mein Recht ist. Ich konnte nur streiken, weil ich mir die Schicht so eingeteilt habe, dass ich den halben Tag frei hatte. Ich fand es schwierig, die Balance zu finden zwischen beruflicher Verpflichtung und dem, was ich eigentlich möchte.

Judith: Ich habe ja den Frauenstreik hier am Theater voll miterlebt. Wir waren eine Gruppe von Frauen, die sich am Morgen getroffen hat, um über gemeinsame Themen zu Diskutieren. Das Haus hat uns dafür einen Raum gegeben. Genau das habe ich jedoch als schwierig empfunden: Dass wir uns als Frauen nicht einfach einen Raum nehmen konnten, sondern es erst bewilligt werden musste. Ich war bereits beim ersten Frauenstreiktag dabei – das war 28 Jahre zuvor. Damals wollten wir vor der Vorstellung «Der Gesandte» alle Frauen, die gearbeitet haben, auf die Bühne bitten. Wir wollten damit zeigen, wie viele Frauen am Schauspielhaus arbeiten und ihr Leben mit Familie rund um ihre Arbeitszeiten sortieren müssen. Nach riesigen Diskussionen, ob man das machen darf oder nicht, hat die damalige Direktion schliesslich eingewilligt.

Und am zweiten Frauenstreik habe ich mir gedacht: Meine Güte, 28 Jahre sind vergangen, bis wir Frauen wieder auf die Strasse gehen. Und dann haben wir uns noch die Erlaubnis dafür geholt. Vielleicht ist das ja auch schön feminin, trotz Streiken zu schauen, dass alles weiterläuft. Wir holen uns unsere Rechte, aber schlagen nicht alles kaputt. Bei den Gesprächen am Streik haben wir gemerkt, dass so viele Frauen aus verschiedenen Funktionen die gleichen Themen beschäftigen – und wir kaum etwas voneinander wissen. Danach gingen wir alle zusammen an die Demo, was eine riesige Erfahrung gewesen ist. Auch die damalige Intendanz ist mitgelaufen. Ich hatte das Gefühl, wir sind so viele und wir haben solch eine Kraft. Und wir wissen es ja eigentlich. Aber wir vergessen es immer wieder. Daraus ist die Idee eines Frauenstammtisches entstanden. Wir Frauen vom Schauspielhaus wollten uns regelmässig austauschen, um zu schauen, was uns gerade beschäftigt. Das kann ein lockeres Zusammensitzen sein, um sich besser kennen zu lernen und ein Bier zu trinken. Oder eine Frau hat ein Problem, wo wir uns gegenseitig unterstützen können.

Bei diesen Gesprächen am Frauenstreik fand ich es so interessant, zu merken, dass von allen Frauen ein grosses Bedürfnis nach einem Austausch besteht. Und dass jede ein Thema hat, in dem man sich selbst wiedererkennt.

Judith: Genau, ich habe es einen wahnsinnig schönen Tag gefunden. Diese Gemeinschaft erleben zu können. Und auch diese friedliche Atmosphäre.

Jasmin: Ja es war schon eine spezielle Dynamik an diesem Frauenstreik. Sehr kraftvoll. Und mega schön. Und was du gesagt hast, Judith, dass zwischen dem ersten und zweiten Streik so viel Zeit vergangen ist: Das beobachte ich manchmal bei meinen Eltern, die beide um die 50 Jahre alt sind und sich in ihrer Jugend für die Gleichberechtigung eingesetzt haben. Da kam etwas ins Rollen und es ist etwas passiert. Und dann kam lange nichts mehr. Man hat sich ein bisschen auf diesem Erfolg ausgeruht. Und ich habe das Gefühl, dass meine Generation nochmals lernen muss, etwas fordern zu dürfen.

Welche Themen im Bereich Gleichstellung beschäftigen Euch sonst noch?

Judith: Unabhängigkeit und Ernst genommen werden. Ich habe das Gefühl, man muss männliche Attitüden annehmen, dass man in unserer Arbeitswelt bestehen kann als Frau. Und das finde ich erschreckend.

Jasmin: Das ist bei mir auch so. Ich verstehe auch nicht, dass Feminismus von vielen falsch verstanden wird. Es sind auch Männer, die sich damit identifizieren können. Es geht nicht um maskulin gegen feminin. Mir ist es vor allem wichtig, von nichts abhängig zu sein. Ich möchte immer selber bestimmen können. Diese Freiheit finde ich so wichtig.

Kommst Du auch mal an den Frauenstammtisch, Jasmin?

Jasmin: Auf jeden Fall! Die Leute in meinem Alter vernetzen sich sehr stark. Ich fände es aber schön, wenn das mehr generationenübergreifend geschehen würde. Das merke ich gerade jetzt mit dir, Judith, wir kannten uns ja kaum und jetzt merke ich, dass uns etwas verbindet. Und das ist schön und macht uns stark. Ich würde gerne mal beim Stammtisch dabei sein.

Judith: Ja unbedingt! Dieses Zusammenkommen verbindet uns extrem. Und bei der Auseinandersetzung mit den jüngeren Leuten, habe ich auch erst gemerkt, was ihr eigentlich alles macht. Es hat mich schwer beruhigt, wieder junge Frauen kennen zu lernen, die dieses Bewusstsein haben. Die jungen Frauen stehen hin und sagen: Wir sind hier. Und das fand ich cool. Dieses Gefühl, dass es weitergeht.