Der Prinz

by Elias Hirschl
published on 04. November 2019

Ein Gedankenexperiment zu Schneewittchen beziehungsweise «einfach nur eine übergenaue Detailbetrachtung von dem, was zum Teufel der Prinz eigentlich im Märchen macht»

Das siebenjährige Mädchen, welches eben noch tot gewesen war, öffnete überrascht die Augen, um sich eher unerwartet lebendig in einer gläsernen Box wiederzufinden, deren Innenseite sie mit dem galligen Speisebrei eines vorverdauten Apfels vollgekotzt hatte. Sie hob den Kopf und erblickte zwischen den tropfenden Schlieren das gekrönte Haupt eines Aristokraten. «Wo bin ich?», fragte das Mädchen orientierungslos. Aufgrund seines Todes hatte es nicht mitbekommen, wie sieben kleine Männer es nach einem stiefmütterlichen Attentat in einen lichtdurchlässigen Sarg gesteckt und auf einem Berggipfel öffentlich zur Schau gestellt hatten.

«Du bist bei mir», antwortete der Prinz und erst jetzt bemerkte das Mädchen, dass sein gläserner Sarg von einem halben Dutzend Sklaven den Berg hinuntergehievt wurde. «Du wirst mit auf mein Schloss kommen und meine Gemahlin werden», erklärte der Prinz. Das kam für das siebenjährige Mädchen, das ja erst seit knapp einer halben Minute bei Bewusstsein war, dann doch eher überraschend. Für den Prinzen schien die Angelegenheit indes bereits vollendete Tatsache zu sein. Denn als er heute Morgen nichtsahnend über den Berg spaziert war, da war er einfach so mir nichts dir nichts über den gläsernen Sarg mit der Leiche des siebenjährigen Mädchens gestolpert und hatte sich gedacht: «Oh, das ist aber wirklich eine wunderschöne Leiche eines siebenjährigen Mädchens. Ich möchte diese Leiche wirklich ausserordentlich gerne besitzen.» Also schickte er seine Sklaven, ihm den Sarg mit der Kinderleiche den Berg hinab zu seinem Schloss zu transportieren. Auf halbem Weg hinunter waren sie jedoch gestolpert und durch den Aufprall des Sarges war die Leiche des Mädchens wieder lebendig geworden.

Dies traf sich gut, denn der Prinz hatte sich vorhin schon gedacht: «Also, wenn diese Leiche des siebenjährigen Mädchens nicht tot, sondern lebendig wäre, würde ich sie definitiv auf der Stelle heiraten.» Und als der Prinz das eben noch tote, jetzt aber wieder lebendige siebenjährige Mädchen da so verwirrt, hilflos und mit Erbrochenem besudelt vor sich liegen sah, da wusste er, dass er ihm sofort ohne Vorwarnung verkünden musste, dass sie von nun an den Rest ihres Lebens zusammen verbringen würden. Das hatte sich der Prinz ganz alleine in seinem kleinen, gekrönten Köpfchen überlegt und aus vollstem Ernst für eine wirklich gute Idee gehalten.