Zwei Wege zum Theater

William Shakespeares Der Sturm spielt auf einer abgelegenen, nur von Wasser umgebenen Insel und erzählt eine Geschichte von Sprache und Land, von Kunst, Macht und Sterblichkeit. Moved by the Motion verwebt Shakespeares kanonisches Stück mit Elementen der Science-Fiction, Satire und dem magischen Akt des Theaters selbst. Zwei Menschen, die sich auf der Bühne begegnen, sind Yèinou Avognon und Sebastian Rudolph. Im folgenden Gespräch, geführt von Emilia Wehrli, reflektieren die beiden Schauspieler*innen, wie sie ans Theater gekommen sind. Als Vertreter*innen zwei verschiedener Generationen sprechen sie über unterschiedliche genauso wie geteilte Erfahrungen.


von Emilia Wehrli
erschienen am 30. Januar 2024

Was waren eure ersten Begegnungen mit dem Theater?

Sebastian Rudolph: Ich komme aus einer Theaterfamilie, deswegen waren Begegnungen mit Theater von Anfang an in meinem Leben. Für mich war immer ganz klar, dass ich niemals zum Theater will, und doch kam es irgendwann dazu.

Yèinou Avognon: Als ich vier oder fünf Jahre alt war, war ich in Theaterkursen für Kinder, alles Impro. Die Mutter eines anderen Kindes hat meiner Mutter davon erzählt. Meine Mutter wollte immer, dass ich alle Hobbies ausprobiere. Danach habe ich lange nicht mehr in einem Theaterstück gespielt - ich traute mich nicht.

Wenn ihr an frühere Theatererfahrungen zurückdenkt - was für Gefühle gaben sie euch? Mit welchem Gefühl steht ihr heute auf der Bühne?

Yèinou Avognon: Während meiner ersten Hospitanz bei Moved by the Motion habe ich an fast jeder Probe geweint, weil das so ein anderer Ansatz, eine andere Theatererfahrung war. Ich dachte mir: «Wow, irgendwann, wenn ich etwas aus mir gemacht habe, will ich mit ihnen arbeiten.» Nun darf ich bereits jetzt mit ihnen arbeiten, das ist so ein spezielles Gefühl. Sehr lucky!

Sebastian Rudolph: Ich habe in den ersten Jahren ständig nur mit Angst und Horror gekämpft, muss ich sagen. Ich war sehr schüchtern, ich hatte unheimliche Angst vor dem Auftreten, schon Tage vor der Show, egal ob grosse oder kleine Rolle. Ich habe die Theaterwelt auch als unheimlich feindlich und verachtend erlebt, obwohl sie der Ort war, an dem ich unbedingt sein wollte. Ich bin glücklich darüber, dass diese Angst weniger geworden ist und ich jetzt, wo ich mehr Sachen mitbestimmen kann, diese Angst nicht an Andere weitergeben muss.

Was war ein Schlüsselmoment, der euch an den Punkt gebracht hat, an dem ihr heute seid?

Yèinou Avognon: Als ich mich entschieden hab, das Theaterjahr am Schauspielhaus zu machen, wollte ich gar nicht unbedingt Schauspiel machen. Trotzdem habe ich während des Theaterjahrs bei BULLESTRESS mitgespielt. Danach hat eines zum Anderen geführt. Wegen BULLESTRESS hatte ich ein Burn-Out und mir ging es richtig schlecht. Wegen dem Stück, wegen den Proben und der Thematik. Ich konnte mich überhaupt nicht distanzieren von meiner Rolle, die mir sowieso schon sehr nah war. Ich sagte mir: Okay, das war jetzt schrecklich, aber ich will trotzdem weitermachen - das war ein ausschlaggebender Punkt. Nachdem ich mit zwölf in diesem Musical mitgemacht habe, traute ich mich sechs Jahre lang nicht, Theater zu machen, und dann wollte ich ins Theater und habs gemacht - von mir aus und für mich, für niemanden sonst. Das ist ein Gefühl, das sich durchzieht bis jetzt.

Sebastian Rudolph: Ich würde zwei Sachen erwähnen: Ich habe bei einer Probe zugeschaut, wo meine Mutter mitgespielt hat. Dann ist ein Schauspieler zu spät auf die Probe gekommen. Der Regisseur hat ihn, während der Schauspieler anfing zu erzählen, warum er zu spät kam, auf die Bühne gelotst und die sind über die Geschichte, warum der zu spät gekommen ist, in die Geschichte dieses Stücks eingetaucht. Mich hat das so fasziniert, dass es einen Beruf gibt, bei dem es darum geht, was im Leben passiert und was mit einem selber los ist und das in dem Beruf Platz hat. Das war für mich ein tolles Erlebnis, an das ich heute noch oft denke.

Hier haben wir ganz schön viel angestossen in den letzten Jahren, in allen möglichen Facetten. Da waren unglaublich tolle Sachen, wo ich stolz bin, dabei zu sein. Wir haben uns aber auch in Konflikte begeben. Für mich ist es total schön, mit dieser Produktion als Abschluss, mit allen Menschen zusammen etwas zu erarbeiten, mit denen ich in unterschiedlichsten Situationen auch Konflikte hatte - auf einmal schliesst sich ein Kreis. Das hat auch eine ganze Menge mit dem Stück zu tun, das eine Geschichte von Konflikten erzählt, auf die zurückgeblickt und gefragt wird: Könnt ihr dieser Geschichte verzeihen oder nicht? Habt ihr Mitgefühl dafür? Das berührt mich sehr.

Ihr arbeitet gerade zusammen in der Produktion Der Sturm von Moved by the Motion - welche Aussage in dem Stück ist euch besonders wichtig?

Yèinou Avognon: Mein Charakter, Miranda, die zuerst ihren Vater stürzen und die Macht übernehmen möchte, um freier zu sein, entscheidet sich am Schluss trotzdem für die Machtposition, die ihr so oder so von Geburt an gegeben ist. Sie verbündet sich nur kurzzeitig mit Caliban. Ich finde das ist sehr am Puls der Zeit, dass Menschen, die in Machtpositionen sind, als Spass und zum Zeitvertreib in einen Pretend-Aktivismus reingehen. Miranda realisiert ihre Position nicht wirklich, weil sie es auch nicht muss. Überall, auch hier, gibt es Menschen, die in höheren Machtpositionen sind, die ihre Macht scheinbar kritisch thematisieren, nur um danach genau in ihren Positionen zu bleiben. Ich finde es richtig toll, sowas spielen zu können.

Sebastian Rudolph: Ich finde es interessant, wie sehr alle Figuren miteinander zusammenhängen, dass es ein Gesamtgewebe ist. Letztlich ist es bei uns auch so: Man denkt immer, jeder hat eine eigene Position, aber man ist ein riesiges Geflecht, und wenn man da so draufgucken kann, merkt man, dass alle von verschieden Seiten in dieses Netz reinfummeln und denken, sie seien eigen Wesen.

Das Stück spielt in einem apokalyptischen Setting - wie schaut ihr im Moment auf die Welt und die verschiedenen Krisen und Katastrophen in ihr?

Yèinou Avognon: Es ist immer wieder absurd, auf einer Bühne zu stehen und über den Weltuntergang zu sprechen, ihn zu thematisieren und darüber nachzudenken und das an einem sehr sicheren Ort machen zu können. Seit dem Anfang unserer Proben war ich mit meinen Gedanken in Palästina - und dann sitzt du um diesen Tisch und liest Shakespeare - das ist einfach absurd! Man ist irgendwie so machtlos.

Gleichzeitig ist es super spannend, durch diese Produktion mehr herauszufinden über AI und ihre Weiterentwicklung. Da sehe ich auch einen Bogen, einen Zusammenhang zwischen den Menschen, wie du vorhin gesagt hast: Durch die Zusammenhänge von AI und Rohstoffe für Computer landen wir bei dem Minen und beim Völkermord in Kongo. Das alles ist verbunden, und wir können drüber reden, hier im Warmen, auf der Bühne, und kriegen danach noch Applaus.

Sebastian Rudolph: Was du angesprochen hast, die Konflikte, ich glaube ich hab mich mehr an diese Widersprüche gewöhnt. Ich weiss nicht - ist das abgefuckt, dass man sich an diese Realität gewöhnt?! Ich muss aber sagen, dass ich so richtig Angst bekomme. Erst ist es ein Krieg, dann kommt der nächste Krieg, es wird immer mehr und immer normaler. Ich versuche, meinen Kindern Positives mitzugeben. Doch habe ich Angst, dass es auch uns irgendwann erwischt. Da versteh ich, was du sagst: Bei uns ist es warm und sicher - wie lange noch?

In Der Sturm verbindet euch eine familiäre Beziehung. Wie habt ihr eure Begegnung ausserhalb eurer Rollen wahrgenommen?

Yèinou Avognon: Ich habe Sebastian das erste Mal in Faust I gesehen, mit meiner Gymnasialklasse. Ich dachte: «Goethe?! Der kann mich mal!» Dann war Sebastian auf dieser Bühne die erste Stunde ganz alleine und ich dachte nur: «Wie ist das möglich, dass jemand das so macht?!» Und jetzt spiele ich mit ihm!

Sebastian Rudolph: Ich finde es beeindruckend, wie du neu und staunend in diese Welt rein kommst, und gleichzeitig - das hat wieder mit dem Anfang des Gesprächs zu tun - scheinbar keine Angst hast, sondern mutig bist, in dem was du machst.