Hässig ist der Bodyguard von Truurig

Gemeinsam mit Ensemblemitgliedern und jungen, teils (noch) nicht professionellen Darsteller*innen untersucht die Regisseurin Suna Gürler in Ich chan es Zündhölzi azüde, wann und warum Wut ausbricht, was diese starke Emotion mit einem selbst und dem Umfeld an- oder ausrichten kann. Und wo die Grenze zwischen konstruktiver und destruktiver Wut liegt. Wir haben verschiedene Menschen zu ihren Gedanken über das Wütendsein gefragt, so auch die Autorin Anna Rosenwasser. In ihrem Essay reflektiert sie den Vorwurf der wütenden Frau und legt dar, wann, wie und warum Wut eine nützliche Ressource sein kann.


von Anna Rosenwasser
erschienen am 17. Februar 2023

Ich bin in einem kleinen Dorf mit einer intensiven Fasnachtskultur aufgewachsen. Innerhalb dieser dorfspezifischen Tradition wird ein Lied gesungen, dessen Text unter anderem lautet, «tirullala, tirullala, die Mädchen sind zum Küssen da», eine ganz mühsame Zeile. Weil wir ja alle wissen, die Mädchen sind nicht zum Küssen da, sondern zum Runterbrennen des Patriarchats. Jedenfalls hat mich ein Mitmensch, der im gleichen Ort aufgewachsen ist, vor einigen Jahren gebeten, zusammen einen Brief an die Gemeinde zu verfassen, um diese Liedzeile zu kritisieren. Ich war einverstanden, schickte der Person einen Entwurf und erhielt die Antwort: «Danke! Ich seh mir das gern in vier Tagen an, dann bin ich in der Woche vor meiner Mens und kann richtig gut hässig sein.»

Diese Bemerkung hat mein Leben verändert. Wirklich. Es war das erste Mal, dass ein Mitmensch das prämenstruelle Wütendsein erwähnt hat als Ressource. Nicht als Macke, nicht als Witz, nicht als Vorwurf – sondern als Energiequelle, um etwas zu erschaffen, in diesem Fall Kritik an einer sexistischen Tradition. Wie die meisten Menschen, menstruierend und nicht menstruierend, war ich mit dem Konzept aufgewachsen, dass «Frauen leicht reizbar sind an ihren Tagen», was ja nur schon deshalb nicht stimmt, weil Reizbarkeit eher vor der Mens, nicht währenddessen, auftritt. Ich habe unzählbar oft erlebt, wie ein Mann die Wut einer Frau mit «hast du deine Tage» quittiert, als würde das die Wut irgendwie peinlich machen. Dass sie stattdessen etwas Wertvolles, Nutzbares sein könnte, das kam mir nie in den Sinn.

Dass ich nie an Wut als Ressource dachte, liegt nicht nur am sexistischen Abwerten von menstruell bedingter Launenhaftigkeit. Es liegt auch daran, dass Frauen keine Wut zugestanden wird. War ich als kleines Mädchen wütend, schimpften mich meine Brüder «Giftzwerg». Der Satz «Bisch jetzt öppe hässig?» begleitet mich schon mein ganzes Leben, und er klingt nie interessiert, besorgt, empathisch, sondern höhnisch, herablassend, genervt. Meine Wut wurde nicht ernst genommen. Bewusst nicht. Und so habe ich gelernt, sie auch nicht ernst zu nehmen.

Es ist das eine, Wut nicht ernst zu nehmen, und nochmals einen obendrauf, sie aktiv abzuwerten. Wütenden Frauen wird ihre Wut vorgeworfen, der Vorwurf wird genutzt, um ihre Forderungen zu disqualifizieren. Das strategische Abwerten von Wut ist ein Muster, das sich bei diversen minorisierten Gruppen zeigt, etwa bei Schwarzen Menschen (und in der intersektionalen Kombination besonders fest bei Schwarzen Frauen). Die Wut einer Forderung abzuwerten – «kannst du das nicht in vernünftigem Ton sagen?» – ist ein Weg, vom Inhalt der Forderung abzulenken. Die Unterteilung in Vernunft und Emotionalität ist dabei eine sehr patriarchale Dichotomie, zumal männliche Wut meistens als Autorität aufgewertet wird (wobei ich es im Übrigen auch sehr patriarchal finde, Autorität stets als Stärke zu werten). Ist es denn nicht vernünftig, auf Ungerechtigkeit mit Wut zu reagieren? Nicht mit Aggression oder Gewalt, das meine ich nicht, ich meine das Gefühl: Ist Wut nicht dazu da, uns aufzuzeigen, dass eine Grenze überschritten wurde?

Hässig werden wir dann, wenn eine Grenze überschritten wurde. Die Grenze des (gefühlt) Fairen, des Respektvollen, des Angenehmen. Ich werde wütend, wenn der Apfel, in den ich gerade gebissen habe, mehlig ist, und ich werde wütend, wenn ich mich mit einem antisemitischen Grenzwächter rumschlagen muss. (Nationale Grenzen machen mich ebenfalls hässig, aber das ist ein anderer Essay.) Was wir mit der Wut anstellen, kann dann wiederum vernünftig oder unvernünftig sein, aber ein Gefühl selbst ist nie unvernünftig. Es ist einfach. Manchen wird es gelassen, und anderen wird es abgesprochen.

Alok Vaid-Menon, eine der vielen trans Personen, auf deren Arbeit ich einen grossen Teil meines Aktivismus aufbauen darf, hat letztens mal gesagt: Wütend ist der Bodyguard von Traurig. Das fühl ich mega. Hässig ist der Bodyguard von Truurig, weil Traurigsein sehr viel Energie frisst; das macht Wut zwar auch, aber sie setzt immerhin Energie frei, die gegen aussen eingesetzt werden kann. Das kann sehr schief gehen oder sehr gut kommen. Ich glaube, Wut kommt dann gut, wenn sie kollektiviert wird. Nicht bei mehligen Äpfeln, aber ganz sicher bei struktureller Ungerechtigkeit: Menschen, die gemeinsam wütend sind und diese Energie in Widerstand setzen, sind der Antrieb von sozialem Wandel. Kein Wunder also, will man unter anderem wütende Frauen gerne leiser und harmloser machen: sonst droht Veränderung.

Vor wenigen Wochen war wieder das Fasnachtsfest in meinem Dorf. Ich ging nicht hin, aber erhielt ein Video, wie das traditionelle Lied gesungen wurde: Die sexistische Zeile wurde, wenige Jahre nach unserem Brief, geändert. Mädchen sind eben nicht zum Küssen da. Sondern zum hässigen Runterbrennen des Patriarchats.