Zehn Autor*innen, zehn Gespräche -
Lydia Haider über Reigen

Reigen, die neue Inszenierung von Yana Ross, wurde bei den diesjährigen Salzbuger Festspielen im Juli uraufgeführt. Für die Inszenierung treiben zehn international renommierte Autor*innen den historischen Stoff von Arthur Schnitzler ins Heute: Lydia Haider, Sofi Oksanen, Leïla Slimani, Sharon Dodua Otoo, Leif Randt, Mikhail Durnenkov, Hengameh Yaghoobifarah, Kata Wéber, Jonas Hassen Khemiri und Lukas Bärfuss haben je eine der zehn Szenen neu geschrieben. Im Rahmen der Premiere in Österreich hat Leila Vidal-Sephiha Gespräche mit den zehn Autor*innen geführt, die wir nun nach und nach und in Originalsprache im Schauspielhaus Journal publizieren. Nach dem Auftakt mit Sharon Dodua Otoo, spricht im zweiten Gespräch Lydia Haider über ihren Bezug zu Arthur Schnitzler und die Erfahrungen, die sie im Rahmen der Inszenierung gemacht hat. 


von Lydia Haider
erschienen am 19. September 2022

Leila Vidal-Sephiha: Welche Beziehung hast du zu Arthur Schnitzler und seinem Werk?

Lydia Haider: Ich habe meine allererste Arbeit an der Uni über Leutnant Gustl geschrieben, was sehr positiv besetzt ist. Es war eine kleine Arbeit, aber ich habe mich echt reingekniet, worauf mich die Professorin zu sich bestellt hat. Zuerst dachte ich mir «Oje, was kommt jetzt?», aber dann meinte sie, dass sie noch nie eine solche Arbeit von einer Erstsemestrigen gesehen hat. Sie bestärkte mich, genau so weiterzumachen, was mir wiederum gezeigt hat, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Da will ich hin. Darum ist Schnitzler bei mir in dieser Hinsicht aufgeladen, weniger was seine Texte betrifft, sondern mehr wie ich sie zerlegt habe.

Leila Vidal-Sephiha: Gibt es mit dem Reigen eine besondere erste Begegnung?

Lydia Haider: Nicht wirklich. Ich habe mich nie spezifisch mit dem Reigen beschäftigt. Ich kannte das Werk, hatte es auch schon gelesen. Doch als die Anfrage kam, habe ich zugesagt, weil das kollektive Arbeiten in grösseren Gruppen mein Ding ist. Und auch, weil ich bisher noch nie etwas im Auftrag umgeschrieben hatte. Und der klare Auftrag, etwas zu basteln, hat mich interessiert. Als würde man eine Lego-Kiste ausschütten und sagen: mach da jetzt etwas! Ein wirklich schönes Angebot.

Leila Vidal-Sephiha: Was waren die Herausforderungen beim Umschreiben des Originaltextes in einen gegenwärtigen Kontext?

Lydia Haider: Es war mir von Anfang an wichtig, eine Grundstruktur von Schnitzler beizubehalten, obwohl das vielleicht etwas ist, was man gar nicht so richtig erkennt. Die Sprecher*innenwechsel habe ich beispielsweise versucht, alle zu erhalten. Oder auch den Rhythmus. Und die erste Zeile ist noch immer ganz genau gleich. Das sind so Feinheiten, die mir wichtig waren. Und wie ich den Stoff in die Gegenwart kriege, war gar keine Frage, sondern eine logische Konsequenz aus dem Auftrag.

Leila Vidal-Sephiha: Wie kam es dazu, dass der Text in österreichischem Dialekt ist? War dir das von Anfang an klar?

Lydia Haider: Ich komme eigentlich nie vom Inhalt. Die Sprache und die Rhythmik bestimmen alles und dann baue ich noch willkürlich einen Inhalt ein, damit es halt einen hat. [lacht] Dass der Dialekt reingekommen ist, hat damit zu tun, dass ich die ganze Sprache abbilden will. Wenn man Texte verfastet, die bildungssprachliche Ausdrücke verwenden, braucht man als Ausgleich auch Dialektwörter. Das hat gar nicht so viel mit Schnitzler zu tun, sondern mit dem Wunsch nach Gleichgewicht.

Leila Vidal-Sephiha: Wie hast du die Kollaboration mit Yana Ross als Regisseurin und Laura Paeteau als Dramaturgin wahrgenommen?

Lydia Haider: Es war toll, wir haben uns öfters getroffen. Zu Ostern war ich mal in Zürich, da habe ich auch erfahren, dass die Geschichte in eine Familie umgebastelt wird. Das war für mich nicht schwierig. Ich musste es auch nur minimal verändern, weil die Gestalten eh schon sehr offen waren. Sie sind gleichzeitig auch sehr festgezerrt, also irgendwie beides. Yana und Laura haben das perfekt gelöst.

Leila Vidal-Sephiha: Hast du davor schon viel Theater geschrieben?

Lydia Haider: In der letzten Zeit, ja, aber bevor ich am Volkstheater begonnen habe, habe ich fast nichts am Theater gemacht. Für das Theater Bern habe ich mal etwas geschrieben, aber auch kollaborativ mit drei Kolleg*innen. Das Stück hiess Tuntschi.

Leila Vidal-Sephiha: Wie hast du es wahrgenommen, in einer neuen Literaturform, also fürs Theater, zu schreiben?

Lydia Haider: Es gibt eigentlich gar keinen Unterschied, weil mein Schreiben schon immer danach drängte, laut gesprochen zu werden. Eine Freundin von mir meinte bei meinem ersten Roman immer, dass sie einfach nicht in den Text reinkommt. Und irgendwann hatte sie den Dreh plötzlich raus: sie musste ihn laut lesen. Das interessiert mich an der Sprache. Texte, die gesprochen werden wollen, die aber in der Schriftlichkeit hängen und ohne Schrift nicht sein können. Das Problem ist, dass man sich auf diesem Grat jegliche Arbeitsmöglichkeiten abschneidet, weil Verlage es nicht drucken wollen, weil man merkt, das muss eigentlich gesprochen werden und Theater das nicht aufführen wollen, weil es zu stark an der Schrift hängt. Also bin ich bald arbeitslos, aber dafür habe ich dieses Ziel erreicht. [lacht]

Leila Vidal-Sephiha: Wie war die Zusammenarbeit mit den anderen neun Autor*innen, von denen du die Texte davor nicht lesen durftest?

Lydia Haider: Ich habe gar nicht so stark an die anderen Texte gedacht, ich bin natürlich in der speziellen Position, dass mein Text der erste war. Deshalb hatte ich nicht das Gefühl, überhaupt in ein Fettnäpfchen treten zu können.

Leila Vidal-Sephiha: Was bedeutet Theater für dich als Künstlerin, als Autorin oder auch als Zuschauerin? Was sind deine Gedanken zum Theater als politische Kraft?

Lydia Haider: Durch die Reichweite kann man den Worten und somit dem Gesagten viel mehr Gewicht geben. Ich glaube aber, dass ich das immer noch nicht mache. Ich habe aber Theaterkollegen — vor allem die männlichen — die immer sagen, dass ich mir das genau überlegen muss, was ich schreibe, weil eben dieses Gewicht da ist. Das will ich aber gar nicht, ich arbeite so, wie es sich gut anfühlt. Emotion ist vielleicht ein blödes Wort, aber man sollte mehr mit der Gesamtheit und dem Körper arbeiten. Schaltet das Gehirn aus und macht! Wenn man ein politisch denkender und feministischer Mensch ist, dann kann man eh darauf vertrauen, dass das nicht wegfällt. Dann muss auch nicht alles so aufgeladen sein, das ist auf jeden Fall nicht meine Herangehensweise. Das wäre wohl auch mein Wunsch ans Theater, dass ich das gerne öfter sehen würde: Weniger Genauigkeit und eine offenere Herangehensweise, die aber sehr stark von innen kommt. Das ist dann auch weniger kalt. Und dass das Sprechen wieder mehr ins Zentrum rückt. Ich habe das Gefühl, dass in den letzen 20 Jahren der Körper so wahnsinnig relevant geworden ist, das Sprechen aber weniger bedeutsam. Offenbar ist das auch von den Ausbildungsstätten beeinflusst. Das stört mich total. Mir ist es ein Anliegen, dass die Texte wieder wichtiger werden.

Leila Vidal-Sephiha: Kannst du etwas zum Glock-Text sagen und der darin enthaltenen Staatskritik?

Lydia Haider: Das mit der Glock, das war eben zufällig. Die schwirrt ja auch seit dem Ibiza-Skandal herum, da war ja eine Glock präsent. Da ist viel Kritik drin, aber es ist auch eine Kritik an der Kritik. Die ist auch fast schon nicht mehr ernst zu nehmen. Und gleichzeitig ist es wirklich eine Kritik. Es ist weniger eine Kritik am Staat an sich, sondern mehr eine Kritik an denen, die den Staat zu leiten glauben.

Leila Vidal-Sephiha: Hast du eine Frage, die du gerne gestellt bekommen würdest?

Lydia Haider: Es fällt mir gerade nichts ein, aber es gibt viele, die ich gar nie stellen würde. In den Medien kam immer die Frage, ob Schnitzer noch aktuell sei. Das ist wirklich eine so unglaublich dumme Frage. Das ist, als würde man fragen, ob der Zweite Weltkrieg noch aktuell sei. Literatur ist für mich wie Geschichte. Die ist nicht einfach irgendwann vorbei, sondern sie ist einfach immer da. Die Frage stimmt also einfach nicht. Das ärgert mich sehr. Da könnte ich wirklich endlos darüber reden.