The Ring Orchestra:
Acht Statements

Als Black Cracker gefragt wurde, ob er zusammen mit Jonas Holle die Verantwortung für die Musik im neuen Ring des Nibelungen übernehmen wolle, hat er schnell gesagt, dass er diese Aufgabe auf mehr als nur seine eigenen Schultern verteilen wolle. Acht Musiker*innen sind seinem Aufruf gefolgt und in den Prozess eingestiegen: The Ring Orchestra. Ihre Musik gestaltet Black Cracker jeden Abend live auf der Bühne.

Die acht Orchester-Musiker*innen haben jeweils ein Statement zu dem Projekt und ihrer Arbeit daran verfasst. Einige schreiben über einzelne Musikstücke, die sie als Reaktion auf Wagner oder bewusst von ihm losgelöst geschrieben haben, andere schildern den Prozess selbst des Schreibens oder wie die Auseinandersetzung mit Wagner sich gestaltet hat. Oder ganz etwas anderes. Lesen Sie hier die acht Statements des Ring-Orchesters und hören Sie die dazugehörigen Kompositionen!


erschienen am 24. März 2022

Born In Flamez

Wagner, ja? Wow, das ist nicht banal. Wie will mensch Wagner «korrigieren»? Ich glaube nicht, dass das möglich ist… Wie lässt sich das Werk eines hochgradigen Rassisten, Antisemiten und eingeschworenen Chauvinisten korrigieren – diese Dinge lassen sich nicht ignorieren. Selbst aus einer poststrukturalistischen Position, die nach dem «Tod des Autors» das Werk von seinem Autor trennt, ist das unmöglich. Denn dieses Werk, dieser Ring, strotzt nur so von faschistoidem Gedankengut, von weissen Überlegenheitsfantasien, von der Vorstellung einer überlegenen Rasse und von Wagners Verachtung nicht-normativer Körper.

Deshalb muss sein Werk kaputt gemacht werden oder wir können warten bis es im Schatten der Geschichte des grossen weissen Mannes verblasst. Bis dahin könnten wir zeitnah damit aufhören, sein Genie zu preisen, denn es gehört dekonstruiert! Lasst uns an die Tatsache erinnern, dass er Ideen von Mendelssohn Bartholdy gestohlen, sich eine uralte Folklore zurechtgebogen hat und dass er am Ende womöglich mehr cleverer Hochstapler als einzigartiger Schöpfer war. Gut geklaut ist halb gewonnen.

Aber wie fangen wir an, das Werk eines Narzissten zu dekonstruieren? Wie können wir als ebenfalls Kreierende das Ego dezentralisieren? Wir können es nur kollektiv tun.

Es gibt nichts Geniales ausser den Gedanken, die wir im Gespräch austauschen, wenn wir Ideen gemeinsam formen, aus multiplen Perspektiven. Es gibt kein Kunstwerk ohne Inspiration. Kein Genie ohne diejenigen, die ihm zu Ruhm verhelfen.

Deshalb führten wir, noch bevor wir als Orchester anfingen, an den einzelnen Teilen dieser Komposition zu arbeiten, ein Gespräch. Tatsächlich war es eine achtstündige Diskussion darüber, ob es möglich sei, das Werk zu betrachten, ohne sich auf dessen Autor positiv zu beziehen. Die unterschiedlichen Ideen, die dabei zusammenkamen und schliesslich diese Arbeit bilden, entstammten vielen unterschiedlichen Blickwinkeln und sind in Gemeinschaft, im Austausch gewachsen.

Was ich aus diesem Gespräch mitnahm war Folgendes: Wenn der Ring es darauf anlegt, die grossen Emotionen anzuregen und uns klammheimlich musikalisch manipuliert, mit und für die Protagonisten zu fühlen, dann mache ich das genauso. Allerdings subtiler, queerer und aus dem Hinterhalt. Denn wer ist hier eigentlich heldenhaft? Sind es nicht die eingeschlossenen Kreaturen, die in den verschwiegenen Teilen der Geschichten lauern? Zum Beispiel diese*r Drachen, dessen*deren Blut unverwundbar macht: wie kommt es, dass niemand erzählt, wie dieses Wesen, das einmal ein Riese war, sich verwandelt hat? War es womöglich schön, ein Drache zu werden? Was fühlte dieses Wesen während seiner Transformation? Hat es endlich «Liebe» für sich selbst empfunden? Hat es sich zum ersten Mal in seinem Leben gesehen gefühlt? Hat es sich endlich in der richtigen Haut gefühlt? Hat es sich endlich selber als «richtig» empfunden? Mein Song Love spielt auf dieses Selbst an – auf die Liebe zu sich selbst und das Empowerment, das der*die Drache gefühlt haben muss, nachdem sie dieses schöne, einzigartige Wesen geworden sind. Nur, um dann feige von einem weissen Cis-Mann geschlachtet zu werden, der sich in das Versteck schleicht, um den Raum mit seiner Hetero-Agenda zu kolonisieren. Und dann badet er anschliessend im Blut des Drachen. Was für ein Affront! Ist das etwa kein Vorgang des «Queerings»? Was macht Siegfried dabei anderes, als sich selbst auch zu verwandeln? Sehnt er sich im Stillen nach der Schönheit eines neuen Körpers? Und macht ihn das Blut des Drachen nicht unverwundbar – transformiert es nicht seinen eigenen Körper?

Ist also die Tötung des Drachen ein Akt internalisierter Transphobie? Genau darum geht es in meinem Song Angst. Die Angst des Drachen, wenn der Cis-Held die Höhle betritt, aber auch die Angst des Cis-Mannes vor seinem eigenen Begehren, so wie der Drache zu sein. Meine Geschichte des Rings ist die einer herrlichen Verwandlung und unserer verinnerlichten Ängste. Lasst sie uns dekonstruieren. Gemeinsam.

Gil Schneider

Mich hat dieses Projekt von Anfang begeistert, weil es in vielerlei Hinsicht an meine generelle Herangehensweise und Überzeugungen anknüpft. Erstens bewundere ich manches an Wagners Musik, insbesondere die Orchesterparts wie beispielsweise die Ouvertüren und Vorspiele. Mir gefallen die Orchestrierung und die Entwicklung der Motive, aber besonders die hemmungslose Dramatik und der Kitsch, mit dem ich definitiv etwas anfangen kann. Als Jude/Israeli war mir Wagners Antisemitismus immer bewusst und auch der Diskurs darüber, ob es ok ist, seine Musik aufzuführen. Meine Haltung dazu war immer eine ambivalente – was meiner Meinung nach produktiver ist, als diese Frage in die eine oder andere Richtung zu beantworten. Das heisst, ich könnte niemandem Wagners Musik empfehlen ohne zugleich über seine Ansichten aufzuklären, genauso wie ich mit niemandem zusammenarbeiten oder eine*n noch lebende*n Künstler*in unterstützen würde, dessen politische Haltung ich verachte. Aber insbesondere in Fällen, in denen die Autor*innen bereits tot sind, habe ich keine Probleme damit, mich auf ihre Kunst einzulassen – zu meinen Bedingungen. Ich sehe diese Ambivalenz als Raum einer dauernden Richtungssuche an, die mich konkret zu diesem Gemeinschaftsprojekt führt.

Ein Weg, mit diesem Erbe umzugehen, könnte eine Entmystifizierung des Kunstwerks sein. Anstatt dem historischen und patriarchalen Verständnis des Künstlers als Genie und einsamen, kontextlosen Schöpfers nachzuhängen, haben wir Wagners Kunst eher als Allgemeingut behandelt. Etwas, das in einem Kontext geschaffen wurde und Teil einer Traditionslinie ist, die wir entwirren, entwurzeln und einem neuen Zweck zueignen können. Ein Aspekt davon, der ein integraler Bestandteil meiner gesamten Arbeit ist, ist die Technik des Samplings. Für mich steht samplen durchaus für einen respektvollen Umgang mit Kunst als einem flexiblem, lebendigem Material. Es erlaubt einem, sich unendlich oft neu zu verbinden und neu zu kontextualisieren, persönlich zu werden, ohne dass man einen Anspruch auf Eigentum erhebt. Ein zweiter Aspekt ist die Tatsache, dass diese Partitur in Zusammenarbeit entstanden ist. Sie hinterfragt von sich aus ein patriarchales Verständnis von Autor*innenschaft und Deutungshoheit. Es öffnet einen schöpferischen Raum, der Wagners Ethos zuwiderläuft und somit sein Erbe mit den besten Absichten entweiht.

Isa GT

Ewige Hegemonie, dieselbe einseitige Geschichte, immer und immer wieder erzählt. Wie immer verändert sich eine Geschichte, je nachdem von wem sie erzählt wird. Weiterverbreitet, wiedererzählt, geändert, verwandelt, nichts hört auf, sich zu verändern, selbst wenn die Veränderungen mikroskopisch sind. Herumdrehen, um die andere Hemisphäre zu sehen, um wirklich auf diesen übersehenen Teil zu hören, sich einzustimmen...

Manche Geschichten sind so alt wie die Zeit. Unterschiedliche Zivilisationen, Menschen oder Gruppen adaptieren sie entsprechend ihrer eigenen Weltsicht, aber wenn wir genau hinsehen, scheinen sich die Themen zu ähneln.

Als ich für dieses Projekt an Bord ging, hatte ich mit dem historischen Gewicht des Originals zu kämpfen und mit einigen seiner abscheulichen Assoziationen. Meiner Meinung nach ist es unmöglich, Autor*in und Werk zu trennen, und in diesem Fall spürte ich das besonders deutlich. Ich musste mich ausklinken, um mich einlassen zu können. Um etwas kreieren zu können.

Als ich an den zwei Stücken dieses Projektes arbeitete, entschied ich mich für den Fokus auf Kolonisation und die Idee, irgendwann in einem «Promised Land» anzukommen.

Mit Continuación de la Colonización begann ich mit dem Komponieren direkt am Ort der Aufruhr, von wo aus ich beobachten konnte, was mit meinem Herkunftsland passiert, meiner Heimatstadt, dort wo ich das Gefühl hatte, dass der Kreislauf endlos ist und dass ich ohnmächtig bin, diesen zu stoppen. Gedanken gewannen rasch an Form, und die Worte begannen aus mir herauszuströmen. Ich musste sie herauslassen und ihnen ein Vehikel geben, in der Hoffnung, sie mögen auf offene Ohren und aufgeschlossene Geister stossen.

In Esperando-Me untersuchte ich die Idee, sich selbst zu dekolonisieren. Es zeigt den Kampf, den uns von Anderen aufgezwungenen Kanon zu überwinden und unser eigenes und besonderes Erbe zu betrachten, ein Versuch, uns selbst zu akzeptieren und zu entfalten. Sich darüber erfreuen, an dem Ort anzukommen, wo ich bin. Wartend.

Teil einer Art Orchester zu sein, war eine wunderbare Erfahrung. Mit gleichgesinnten Künstler*innen daran teilzunehmen, sich mit ihnen auszutauschen, miteinander zu sprechen und Ideen zu diskutieren, war ein Genuss. Alles in einer Atmosphäre, getragen vom Respekt füreinander und dem gesamten Prozess. Ich bin beeindruckt von dem Ergebnis.

Ixa Psyborg

Die meisten meiner Beiträge für den Soundtrack habe ich mittels collagierter Klänge produziert, für die ich sowohl lizenzfreie Sounds als auch meine eigenen Instrumente genutzt habe, um akustische Interpretationen bestimmter Klangräume zu schaffen. Mein Ziel war es, die Klangerfahrung abzubilden, die die Charaktere in ihren Szenen womöglich haben könnten, denn diese Umgebung schien mir genauso wichtig wie die Figuren, ihre Dialoge und ihre Handlungen. Zum Beispiel stellte ich mir für die Szenen, die im Feuchten spielen, eine hohe Populationsdichte vor, wie sie in Natur-Räumen vorkommt: Insekten in ihren vielfältigen Ausprägungen, fliegende Käfer, Vögel und andere Tiere, begleitet von fliessendem Wasser und Wind. Für die wandelnden Riesen, wie man sie in Giant Storm hört, versuchte ich die schiere Weite des Raums abzubilden, da ja ein einfacher Spaziergang von A nach B einer Durchquerung von riesigen Landstrichen gleichkommt. Ich dachte, das könnte am besten durch eine stark nachhallende Kickdrum begleitet werden, die sich rhythmisch über die Umgebung aus starkem Wind, Donner und Regen legt – alles Dinge, die grosse Landschaften auf einmal abdecken können. Mit einem einfachen Crescendo/Decrescendo der Schritte erleben die Zuhörer*innen, wie sich der Riese nähert, über uns hinwegsteigt und dann unbeirrt seinen Weg fortsetzt, ohne sein mikroskopisches Publikum überhaupt wahrzunehmen. An der Sumpf-Szene und den Natur-Soundscapes habe ich übrigens gemeinsam mit Leo Luchini gearbeitet.

WWV86a

Mich hat es interessiert, diese Szene zu reproduzieren, weil mich die Leitmotive fasziniert haben, wie sie eine Figur beschreiben, und was das Publikum mittels dieser Musikalität von ihr halten soll. Und dieses Konzept wollte ich noch einen Schritt weitertreiben, und zwar mithilfe des Sound Designs eines Synthesizers. Ebenfalls fasziniert haben mich die Zeichen von Stärke und Schönheit einiger Figuren, wobei Alberich nicht nur die Figuren der Geschichte gegen sich aufbringt, sondern auch das Publikum. Wenn man in irgendeinem Raum der einzige Aussenseiter ist, entwickelt die Schönheit dieses Raums eine Art von Bosheit, während andererseits der Ausgeschlossene umso deutlicher die Groteske durchschaut, die lediglich durch utopische Konstruktionen verdeckt wird. Die Sirenen stehen für eine Schönheit und Liebe, deren Alberich grundsätzlich unwürdig ist, auch wenn sie selbst in einer recht schmuddeligen Umgebung hausen. Ihre Worte dienen vor allem dazu, Alberichs allgemeine Entrechtung zu unterstreichen. Deshalb habe ich dissonante, chaotische Töne entworfen, die den tatsächlich erlebten Horror unter dieser ansonsten angenehmen Komposition zeigen. Schönheit/Groteske, Chaos/Ordnung, Liebe/Hass, Leben/Tod – dies sind in einer Gesellschaft, in der Machtstrukturen und soziale Hierarchien solche ambivalenten Erfahrungen für ihre Mitglieder erschaffen, ja oft zwei Seiten derselben Medaille.

Legion Seven

Ich experimentiere seit kurzem damit, meine kreativen Abläufe zu abstrahieren, indem ich «nicht-musikalische» Elemente in Audio-Software einfüge und dann ausschliesslich mit den Parametern weiterarbeite, die sich daraus ergeben. So eine Vorgehensweise ergibt für dieses Projekt auch deshalb Sinn, weil ich Distanz schaffen wollte zwischen den eher selbstentblössenden Teilen meiner sonstigen kreativen Arbeit und dem egomanischen Geist, der Wagners Hauptwerk innewohnt.

Einige der Instrumente und Effekte in Ableton’s Factory Library haben merkwürdig epische Titel und die habe ich verwendet, um eine magische Beschwörungsformel zusammenzustellen. Wie bei jedem Experiment habe ich mir selbst einige Regeln auferlegt:

1. Abgesehen von einigen Füllwörtern wie z.B. «und» oder «von», dürfen ausschliesslich Worte aus dem Titel des jeweiligen Effekts bzw. des Instruments benutzt werden, um den Satz zu bilden.

2. Abgesehen von Unwörtern mussten alle Wörter im Titel verwendet werden.

3. Die Verwendung von bereits existierenden, persönlich betitelten Samples war nicht erlaubt.

Und das war die Beschwörung, die dabei herauskam:

«Der Erzherzog in einem verlassenen Badezimmer
– abgeknickt, Stimmen hörend:
Ein bisschen weisses Rauschen…
Der schmutzige Puls einer verfallenden Atmo(sphäre):
Hochdramatisch, laut, knielos
Tief in dunkler Nostalgie – Du verschönerst die Todeszone.
Gib Deine absteigenden Träume auf
und befreie Dich.»

Die Schwierigkeit, nur innerhalb der Parameter des jeweiligen Instruments/Effekts zu arbeiten, bedeutete, dass ich mich nicht der Audiotools bedienen konnte, mit denen ich vertraut war. Stattdessen musste ich mich ganz einem Prozess unterwerfen, der ausserhalb meiner Kompetenz lag. In Übereinstimmung mit der westlichen Vorstellung von klassischer Musik als Qualitätsstandard – eine inhärent patriarchal-koloniale Erfindung – muss Wagners Ring-Oper als Zeugnis für das Genie eines einzigartigen allmächtigen Künstlers herhalten. Es erschien mir angemessen, dass meine Interpretation seines Werks absichtlich skurril ist, die Musikalität in den Hintergrund rückt und die ganze Zeit von lachenden Schwarzen Personen begleitet wird. Über Siegfrieds Trauermarsch werden sowohl persönliche Aufnahmen als auch zufällig gefundene Aufnahmen Schwarzer Freude gelegt.

Leo Luchini

Mit solch einem gewichtigen Teil der Musikgeschichte geht auch die grosse Verantwortung einher, darauf eine fundierte Erwiderung zu finden. In mehreren von Black Cracker während des Lockdowns gehosteten Zoom-Sitzungen hatten wir die Möglichkeit, uns als Künstler*innen kurzzuschliessen, aber noch wichtiger war es, die Verantwortung zu übernehmen, einfach als Menschen, die sozialen und historischen Kontexte zu diskutieren. Im Zentrum meines Engagements standen vor allem die Konzepte «Prozess», «Herkunft» und «Kollektivität». In Elektronischen Musik-Zirkeln von heute (nach der Post-Moderne und mitten im Internet-Zeitalter) gehört für uns neben dem kontinuierlichen Fluss ständigen Überarbeitens/Remixens und dem Teilen von Stems, Instrumentals, Accapellas und so weiter auch die offene Einladung an die nachfolgenden Hörer*innen, darauf wiederum kreativ zu reagieren. Deshalb bestanden die Hälfte meiner Beiträge aus «Loops» und «One Shots», also aus Samples, die dazu gedacht sind, von anderen weiterverwendet/resampled zu werden

Bei der anderen Hälfte meiner Beiträge «ging es um etwas»: Konzeptionelle Musik. Während eines Zoom-Meetings sprach der Autor Necati Öziri davon, dass das Rhein-Thema eine Analogie zur inneren Wahrheit in uns allen habe. Das inspirierte mich zu meinem Beitrag The Inner-Gold Prelude. Wie kann ich das Rhein-Thema so klingen lassen wie ein persönliches Erwachen aus einem meditativen Zustand?

Ähnlich war es bei meinem Beitrag Non-Western Valkyries Theme (Nicht-Westliches Walküren-Thema) – dafür konzipierte ich eine Gegenposition, indem ich eines der berühmtesten (und historisch am meisten belasteten) Themen der westlichen Musik sowohl auf eine doppelte harmonische Dur-Tonleiter (Arabisches Tonsystem) übertrug als auch für präkolumbisch-amerikanische Ocarina Gefässflöten und Schlaginstrumente (aus der Region von Costa Rica), und zwar in ihrer ursprünglichen, nicht-westlichen Stimmung (nicht 440 Hz), um dadurch die nicht-westlichen Welten musikalisch zu repräsentieren.

Die grösste Herausforderung war das Denken in musikalischen Kategorien und gleichzeitig mein eigenes Ego zum Wohle der Gruppe zurückzunehmen. Obwohl ich in meiner Kreativität frei war, bewertete ich diese Aufgabe höher als meine Person. Also habe ich stattdessen in erster Linie versucht, mich anzupassen: 1. an das Material, 2. an den Rest des Teams, 3. an den momentanen Kontext.

Für mich funktioniert diese beabsichtigte Bewusstmachung in künstlerischen Kollektiven wie eine Art «Abstammungsnachweis» und kreative Währung. Es braucht das Vertrauen in die Künstler*innen, zu entscheiden, was wir aus der Vergangenheit aufnehmen und was wir hinter uns lassen zugunsten anderer in der Zukunft – eine Art folkloristische Zeitmaschine, die durch Inspiration und Vertrauen angetrieben wird.

Philipp Hülsenbeck

Crackers transparenter Ansatz, auf Basis von Interviews und dem Engagement aller ein Orchester zusammenzubringen sowie die Art und Weise, wie er das Orchester und die grossartigen Theaterleute miteinander in Kontakt brachte, haben mich begeistert. Ich wollte Teil des Projektes sein, noch bevor ich die Leute traf, die diese Gruppe bildeten. Der ganze Prozess, angefangen vom Teilen der Antworten aller über die konstante Forderung nach Engagement während unserer Treffen bis hin zur Übertragung eines grossen Teils der Entscheidungen an die Gruppe selbst, während gleichzeitig von allen gefordert wurde, ihr Ego zu vergessen, waren sowohl intensiv als auch bereichernd. Statt einer voreingenommenen Annäherung an die Partitur, fühlte es sich wie der glatte Gegensatz zu Wagners hyper-egozentrischer Arbeitsweise an. Das gesamte Konzept einer Dezentralisierung der Macht, der Gruppe zu vertrauen und als Gegenleistung selbst um Vertrauen zu bitten, erschien mir äusserst sinnvoll.

Ich bin durchaus an Zusammenarbeit und an einen offenen Austausch über künstlerische Prozesse gewöhnt, aber als wir vor über einem Jahr begannen, an der Partitur zu arbeiten, sassen wir alle noch in Isolation und waren abgetrennt von unserer gewohnten Umgebung. Das gab dem ganzen Prozess eine andere Perspektive und eine zusätzliche Intensität. Ich bin sehr dankbar, dass ich dazu eingeladen wurde, Teil eines solch offenen Austauschs mit solch einer erstaunlichen Gruppe von Leuten zu sein. Das zwang mich, meine Position und meinen eigenen kreativen Prozess in vielerlei Hinsicht zu hinterfragen. Natürlich bin ich absolut neugierig darauf, das Stück zu sehen, bis jetzt habe ich noch keine Ahnung, wie die Partitur klingen wird, wenn sie dann endlich auf die Bühne gebracht wird.

Simonne Jones

Walkürenritt: Die Eingliederung afrikanischer und indigener Percussion-Elemente in die Neuinterpretation des Walkürenritts ist der Versuch, das Konzept von Hoher Kunst, das in der westlichen Kunstauffassung geradezu dogmatisch ist, zu entkernen. Die Integration eines nativen Ansatzes in dieses Werk wird dazu genutzt, die eurozentristischen und nationalistischen Ideale bildlich zu entwaffnen. Durch die Verwendung des zeitgenössischen Pop-Idioms erhält das Werk die ironische Pointe: seinerzeit wurde Wagners Werk als populäre Musik angesehen.

Trauermarsch: Was eines der ikonischsten Stücke von Wagner angeht, wurde das ursprüngliche melodische Motiv beibehalten, jedoch wurde es zerlegt und dann mithilfe altmodischer analoger Synthesizer rekonstruiert. Bestimmte Orchesterinstrumente haben wir in der Originalpartitur ersetzt. Einige der Atmos enthalten selbst aufgenommene Naturgeräusche, die wir bei einem Besuch des Guarani-Stammes im Amazonas gesammelt haben. Diese organischen Naturklänge laufen wie unterbewusst im Hintergrund, was im Stück eine einzigartige Atmosphäre schafft. Sie erinnern daran, dass Menschen unerheblich sind für die Macht der Natur, einer gottgleichen Kraft, die ja oft auch von Künstlern für sich in Anspruch genommen wird. Die Stimme wird ebenso als atonales Instrument verwendet. Sprachlosigkeit, Identität und ethnische Zugehörigkeit als Erinnerung daran, dass der Mensch selbst ein göttliches Instrument ist.

Ringmotiv: Der Ring wird traditionell als ein Symbol der Allmacht verwendet, das seine*r Besitzer*in übernatürliche Stärke und eine übermenschliche Kraft über die Menschen verleiht. Dieser thematische Aufhänger wiederholt sich in einem Zyklus, der konzentrische Umläufe in sich selbst vollendet, und dabei eine Ringform entwickelt, die sich endlos fortsetzen könnte.


Das Ring Orchestra hat sich zusammengefunden, um die Musik für Der Ring des Nibelungen am Schauspielhaus Zürich zu schaffen, einer Arbeit, die von Christopher Rüping inszeniert und von Necati Öziri geschrieben wurde. Die Musiker Black Cracker und Jonas Holle stellten ein Orchester aus unabhängigen Musiker*innen zusammen und setzen Wagners Ein-Mann-Show ein vielstimmiges Werk entgegen, das mehr wurde als die Summe seiner Teile.

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