Klang inszenieren.
Ein Interview mit Asma Maroof

2019 ist die Produzentin, DJ und Veranstalterin Asma Maroof von Los Angeles nach Zürich übergesiedelt, um Teil des Ensembles des Schauspielhauses zu werden. Die Künstlerin geniesst für ihre Projekte Nguzunguzu [mit Daniel Pineda] oder Future Brown [mit Fatima Al Qadiri, Daniel Pineda und J-Cush] weit über die Nische hinaus einen ausgezeichneten Ruf. Schon einige Zeit bevor die Zuschreibung «Deconstructed Club» en vogue wurde, vermischten sie und ihre Kollaborateurinnen R&B, eisigen Grime und weitere Mutationen zeitgenössischer Pop-Ästhetiken. Seit über zehn Jahren ist Asma Maroof unter ihrem Alias Asmara als DJ tätig; in Clubs, bei den MTV Video Music Awards oder als Tour-DJ von MIA. Ihre Sets erzählen Geschichten aus dem Herzen traditionsreicher, elektronischer Clubmusik der diasporischen USA. Maroof’s kollaborative Arbeitsweise schlägt sich in diversen Projekten und Veranstaltungen nieder. Ihr Mandat als Ensemblemitglied am Schauspielhaus Zürich bedeutet eine wichtige Fortschreibung ihres Werdegangs als Komponistin in Film- und Theaterkontexten.



Anna Froelicher hat sich mit Asma Maroof in Zürich getroffen, um über ihre Arbeitsweise als Komponistin am Theater zu sprechen. Bei einem Glas Orangensaft, im etwas ruhigeren Teil einer lokalen Szenebar, entstand ein Gespräch über die Unterschiede zwischen einem DJ-Set und einem Theaterabend, die Bedeutung des Wortes «Underground» und der Gleichwertigkeit aller sinnlichen Elemente. Das Interview wurde ursprünglich Ende 2019 für das Magazin zweikommasieben geführt und wir veröffentlichen es nun auch im Schauspielhaus Journal, bevor Asma Maroof während der nächsten Graveyard Shift ein DJ-Set im Pfauen spielen wird. 


von Anna  Froelicher
erschienen am 16. Februar 2022

Anna Froelicher: Was geschieht gerade in deinem Leben?

Asma Maroof: Ich war mit Kelela in Berlin im Studio und bin gerade zurückgekehrt. Ich liebe die Zusammenarbeit mit ihr. Es ist immer anders. Manchmal schreibe ich Texte für sie, manchmal übernehme ich die Produktion. Dieses Mal war es vor allem meine Aufgabe, dort zu sein und ihr Feedback zu geben. Ab und zu gebe ich einen Anstoss, im Stile von «zu diesem Beat könnte man gut singen», höre ihr dann dabei zu und bespreche es danach mit ihr. Oder sie folgt einem eigenen Impuls, den wir im Nachhinein diskutieren. Manchmal tut es gut, eine wohlwollende Person im Studio zu haben, die Rückhalt gibt, wenn man unsicher wird. Man fragt sich schliesslich schnell, ob man sich selbst richtig einschätzt und sich auf dem richtigen Weg befindet. Ich arbeite auch gerne mit ihr, weil ich schon immer selbst singen wollte, das aber nicht mache. Wenn ich sie singen höre, reagiere ich auf ihre Stimme, wie ich sie hören würde. Ich gebe mich ihrer Klangwelt komplett hin. Wir kennen uns schon seit langer Zeit.

Anna Froelicher: Schon seit deinem Studium an der Kunsthochschule in Chicago?

Asma Maroof: Nein. Wir lernten uns in Los Angeles kennen, etwa 2012. Dort traf ich viele meiner jetzigen Freundinnen und Kollegen, mit denen ich zusammenarbeite. Zum Beispiel, Daniel [Pineda], der Teil von Nguzunguzu ist, und Wu [Tsang], mit der ich gerade ein Projekt am Schauspielhaus Zürich durchführe.

Anna Froelicher: Wie kamst du zum Schauspielhaus? Was sind deine Tätigkeiten dort?

Asma Maroof: Nachdem letztes Jahr eine neue Intendanz die Leitung das Schauspielhaus übernommen hatte, wurde Wu Tsang eine der Regie-Residenzen angeboten. In dieser Kapazität hatte sie die Gelegenheit, ihre eigenen Leute mitzunehmen. So kam ich nach Zürich. Ich bin, wie man sich das vorstellen kann, für Musik und Komposition zuständig, stehe aber auch auf der Bühne. Zusätzlich organisiere ich Partys und Lounge-Anlässe. Ich arbeite nun schon seit mehr als zehn Jahren mit Wu zusammen, allerdings nur für Filme. Das Theater ist eine neue Erfahrung für mich, an die ich mich noch gewöhnen muss. Ich freue mich über die Herausforderung, spezifisch für die Bühne zu komponieren. Mit Film kenne ich mich aus, und ich produziere und lege auch meine eigenen Tracks auf, wobei alle diese Aktivitäten bis zu einem gewissen Grade in einander verschwimmen. In dieser Hinsicht ist das Theater nur ein nächster, nicht ein riesiger, Schritt. Es ist sowohl einfach wie auch neu und manchmal unangenehm.

Anna Froelicher: In welcher Hinsicht unterscheidet sich deine künstlerische Arbeit am Theater von deinen vorigen Projekten?

Asma Maroof: Sie unterscheidet sich vor allem darin, wie ich über Raum und Zeit nachdenke. Im Kino setzen sich Leute hin und schauen zu. Live geschieht nichts. Die Komposition orientiert sich rein an der Zeit des Films. Als DJ reagiere ich auf das Publikum, den Raum und andere Dinge. Im Theater verhält sich das ähnlich, mit der Ausnahme, dass ich gewisse Signalstellen treffen muss, damit die Schauspielerinnen und Tänzer wissen, wo im Stück wir uns befinden. Diesbezüglich habe weniger Freiheit als in Filmen, in denen ich auf bestimmte Bilder reagiere, oder am DJ-Pult auf einer Tanzfläche. Im Theater gibt es also Regeln, aber innerhalb dieser Einschränkungen habe ich auch einige Freiheiten. Ich befinde mich also zwischen den Welten, mit denen ich von früher vertraut bin.

Anna Froelicher: Du folgst also einer Grundstruktur, kannst aber in dieser frei improvisieren?

Asma Maroof: Bei den bisherigen Stücken für Moved by the Motion [Wu Tsang und Tosh Basco mit dem Cellisten Patrick Belaga, dem Tänzer und Choreografen Josh Johnson und Asma Maroof und anderen] improvisieren wir, haben dafür allerdings sehr viel geprobt. Ich weiss im Voraus, welche Passagen ich spielen werde, allerdings nicht für welche Dauer und wo genau in der Gesamtkomposition. In dieser Struktur bleiben viele Variablen: Beleuchtung, Tänzer*innen, Szenografie und so weiter. Vielleicht klingt das jetzt so, als ob mir das Ganze zu kompliziert wäre und ich den Schritt bereue, aber das wäre falsch. Es ist der richtige Schritt zur richtigen Zeit. Unsere jetzige Arbeitsweise ist eng damit verbunden, wie wir früher zusammengearbeitet haben. Sie ist nicht weit davon entfernt.

Anna Froelicher: Wie arbeitet ihr als Gruppe zusammen?

Asma Maroof: Die Serie Composition I-III fing mit einer kollektiven Lektüre an. Wir nannten es unsere Lerngruppe. Wir lasen und analysierten die Texte, die uns als Grundlage für das Stück dienten. Es war ein fordernder und langer Prozess.

Anna Froelicher: Der gemeinsame Nenner ist also ein Text, aber jeder bringt seine eigene Perspektive ein?

Asma Maroof: Composition I und II beruhen auf dem Text come on, get it! von Fred Moten, mit dem Wu schon seit einiger Zeit arbeitet. Ich lasse mich musikalisch von den Texten inspirieren. Tosh tut das gleiche für Bewegungen. Dann tragen wir unsere Ideen zusammen und sehen, was funktioniert und was nicht, nehmen den Text dann wieder auf, und das Ganze geht dann so weiter.

Anna Froelicher: Eine Feedback-Schlaufe sozusagen?

Asma Maroof: Genau: Aktion und Reaktion. Mit der Arbeit für Composition I [uraufgeführt im Januar 2020] fingen wir im Oktober an. Bis im Januar hatten wir unzählige Sitzungen und Lesungen, um den Text immer wieder aufs Neue zu erörtern und verstehen zu lernen. Insgesamt lasen wir ihn wohl fünfundzwanzig Mal.

Anna Froelicher: Gehst du so auch beim Produzieren deiner eigenen Musik vor?

Asma Maroof: Während dem tatsächlichen Komponieren spielt es keine Rolle, ob das Endprodukt ein Album oder Musik für ein Theaterstück ist. Im Studio bin ich alleine und arbeite vor mich hin. Im Unterschied dazu suche ich jetzt dazwischen immer wieder Rücksprache mit den Mitgliedern der Gruppe. Ich spiele ihnen Ideen vor und erhalte Rückmeldungen. Dann gehe ich zurück ins Studio und arbeite weiter. Das würde ich bei einer eigenen EP nicht so machen. Wenn ich Feedback brauche, frage ich spezifisch danach. Fürs Theater mache ich eher viele kleine Stücke. Das sind nicht wirklich Lieder, sondern emotionale Ambient-Klänge. Es geht darum, Räume durch Musik zu erzeugen und eine Stimmung hervorzurufen. Ich muss mich dabei nicht einmal auf umständliche Melodien verlassen.

Anna Froelicher: Umständlich in welcher Hinsicht?

Asma Maroof: Ich will nichts allzu Raffiniertes abliefern, damit anderen Elementen genug Raum bleibt. Ich reagiere auch auf die Beleuchtung, Stimmen und Körper. Die Stücke folgen daher eher einer Grundstruktur als einer führenden Melodie.

Anna Froelicher: Das erinnert mich an deine Musik zu Into A Space of Love, dieser sinnlichen Dokumentation von Wu Tsang, die sie für Frieze und Gucci umsetzte. Beim Anschauen hatte ich das Gefühl, dass die Musik sich hörbar macht, ohne andere Aspekte des Films zu dominieren. Alles schien auf gleichem Fusse zu stehen.

Asma Maroof: Ich hatte viel Spass bei diesem Projekt. Das Thema des Films ist House-Musik in New York, was es mir erlaubte, mich sehr wörtlich auf das Gerne zu beziehen, aber auch eine etwas verpeilte Version davon abzuliefern. Normalerweise würde ich mich nie so direkt auf ein Genre beziehen, aber in diesem Kontext war das eine angenehme Erfahrung.

Anna Froelicher: Der Film dreht sich um Underground-Kultur, um eine Kultur des Widerstands oder anders, um eine Kultur, die die Peripherie selbstbewusst zum Zentrum macht und sich der Dominanzkultur entzieht. Deine Musik habe ich nicht in Underground-Klubs gehört, obwohl diese sich wahrscheinlich gerne so kategorisieren würden. In welcher Verbindung stehst du zum «Underground». Was bedeutet dieser Raum für dich?

Asma Maroof: Ich habe eine persönliche Beziehung zu diesem Begriff, weil es die Aussen- oder Unterseite der Normalität bezeichnet. Ich finde es cool, sich sozusagen unterhalb einer bestimmten Situation, an ihren Wurzeln, zu bewegen. Ich fühle mich da Zuhause. Nicht alle, sondern nur ein paar ausgewählte Leute, wissen von diesem Raum oder können ihn verstehen. Aber wenn du dazugehörst, dann gehörst du komplett dazu. Solche Sachen fand ich schon immer interessant: visuell, klanglich, in jeder Hinsicht. Ein grosser Teil der Popkultur wäre ohne den Underground gar nicht entstanden. Allerdings muss ich sagen, dass ich nicht allzu oft darüber nachdenke. Ich mache das, was ich mache, egal ob es zu einem Top 40-Hit führt oder einem beschissenen Lied, das sich nie jemand anhören wird. Wenn ich Musik schreibe, will ich unendlich viele mögliche Richtungen gehen können.

Anna Froelicher: Underground bedeutet auch: kein Budget, keine Stabilität, prekäre Räume und Körper, kurzum, viel Unsicherheit. Wie überlebt man in einem solchen Umfeld?

Asma Maroof: Am Leben zu sein bedeutet, keine Sicherheit zu haben, nicht? Nichts ist garantiert und in diesem Aspekt widerspiegelt der Underground einfach die Realität. Falls du wissen möchtest, ob ich damit leben kann, im Underground zu verbleiben, lautet die Antwort ja. Damit muss man klarkommen, wenn man aus meinem Umfeld kommt. Natürlich wäre es wunderbar, eine Beschäftigung zu finden, die mir lebenslange Sicherheit verschafft, aber dieses Bedürfnis treibt mich nicht an. Es ist zwar auch nicht mein erklärtes Ziel, für immer ein Teil des Undergrounds zu bleiben, aber falls sich das so entwickelt, kann ich mich damit abfinden. Meine Kunst ist nur ein kleiner Tropfen auf einem heissen Stein. Ich denke allerdings schon, dass Kunst eine grössere Wucht entfalten kann, je grösser ihr Publikum ist. Aus diesem Grund bewege ich mich gerne in verschiedenen Räumen. Ich bin offen für vieles. Es verändert sich sowieso alles ständig. Als ich anfing, Musik zu machen, hätte ich nie gedacht, dass ich irgendwann Stücke fürs Theater komponieren würde. Man muss sich dem Lauf der Dinge ergeben.

Anna Froelicher: Du hast viele verschiedene Pläne und Projekte für die kommende Zeit. Welche sind dir zurzeit am wichtigsten?

Asma Maroof: Ich arbeite gerade sehr gerne im Theater. Ich hatte lange den Eindruck, dass man im Theater einfach stillsitzen und sich gehoben benehmen muss. In Wirklichkeit ist das Theater ein viel offenerer Raum. Composition I wurde in einem ausgeräumten Loft aufgeführt. Im obersten Stock war eine Hausbesetzung. Da gab es keine roten Samtteppiche. Ich wünsche mir, dass unsere und die jüngere Generation das Theater für sich entdeckt und sieht, dass das die traditionelle Vorstellung von Theater nicht mehr zutrifft. Im Gegenteil, viele coole Dinge passieren im Theater und ich möchte Teil davon sein, den Ruf des Theaters im Allgemeinen und Institutionen wie dem Schauspielhaus zu verändern.