Faust zu Gast im Fraumünster

Das Schauspielhaus Zürich gastierte zu Ostern in der Kirche Fraumünster. Am Samstag mit Szenen aus Faust I bei der Osternachtsfeier und am Sonntag las Sebastian Rudolph kurze Faust-Szenen in den drei Ostersonntags-Gottesdiensten. Der Regisseur und Videokünstler Yannik Böhmer hat das Geschehene dokumentiert.


von Barbara Higgs
erschienen am 12. Mai 2021

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«Goethes Faust ist grosses Theater»

So betitelte Niklaus Peter, Pfarrer vom Fraumünster seine Kolumne im Magazin des Tages-Anzeiger vom 11. Januar 2020. Er hatte die Inszenierung von Nicolas Stemanns Faust I im Pfauen zum zweiten Mal gesehen und war hellauf begeistert.

Schon damals wuchs der Wunsch in ihm, diesen Stoff - in dem es um die radikale Sehnsucht nach Sinn im Leben geht – in seine Kirche zu holen.

«Die Karsamstags- und Osterszene aus Goethes Theaterstück Faust I ist so vielschichtig, so gut beobachtet und durchdacht, so hinreissend in Dialoge gebracht und in Nicolas Stemanns Inszenierung dermassen überzeugend, dass ich mir dachte: Wäre diese Szene nicht etwas für das Fraumünster – mitten im Gottesdienst?» beschreibt Niklaus Peter seinen ersten Impuls.

Theater vor prachtvollen Kirchen, wie der Jedermann vor dem Salzburger Dom, das «Grosse Welttheater» in Einsiedeln, weihnachtliche Krippenspiele, Passionsspiele in der Karwoche sind bekannt und vertraut. Aber Mephisto hoch oben auf der Kanzel und Faust zweifelnd am Altar?

Warum nicht? Vor allem warum nicht gerade jetzt, inmitten der Pandemie für 50 Menschen? In einer Zeit, in der Theater geschlossen, aber Kirche geöffnet waren.

Nicolas Stemann nahm die Einladung an und richtete mit den beiden Darstellern Sebastian Rudolph (Faust), Daniel Lommatzsch (Mephisto) und dem Organisten Ulrich Busch ausgewählte Szenen für eine lange Osternachtfeier am Samstag und für drei Gottesdienste am Ostersonntag ein.

«Theater in der Kirche, ein Gottesdienst in Theaterform, Theater als Gottesdienst - was für eine schöne Idee!» freute sich der Co-Intendant, «handelt es sich doch bei beiden, Theater wie Gottesdienst, um kulturelle Praktiken mit lang zurückreichenden Traditionen, die auf gar nicht so weit voneinander entfernte Ursprünge zurückgehen. Beiden ist es Aufgabe, die immer neue, immer atemlosere Gegenwart mit Hilfe kanonischer Texte zu verstehen - und umgekehrt, diese kanonischen Texte in einen immer wieder neuen Gegenwartsbezug zu setzen, dabei auf je eigene Art auf der Suche nach Antworten auf die Frage, wie das Leben geht.

Das Theater nähert sich diesen von eher säkularer Seite und sein Medium mag entsprechend wilder, natürlich komischer, oft respektloser sein - was jedoch nicht heissen muss, dass es deshalb nicht auch spirituell sein kann.»

Wie stark das Spiel über die menschliche Tragödie und die Suche nach Wahrheit, Sinn und Liebe im hohen Kirchenschiff des Fraumünster wirkte , ist im Film des Videokünstlers Yannik Böhmer zu erleben. Er begleitete die Proben und die Osterfeierlichkeiten und führte Interviews mit den beiden Verantwortlichen sowie den beiden Film & Theater-Expert*innen Nathalie Wappler (Direktorin von Schweizer Radio und Fernsehen SRF) und Peter Reichenbach (Regisseur und Filmproduzent).

Die weitgereiste und preisgekörnte Inszenierung von Faust I und II wird nächste Spielzeit am Pfauen wieder aufgenommen.

Mitwirkende beim Faust im Fraumünster:

Nicolas Stemann, Regie
Sebastian Rudolph, Faust
Daniel Lommatzsch, Mephistoer
Luisa Stemann, Gesang
Jörg Ulrich Busch, Orgel
Carsten Schmidt, Licht
Marysol del Castillo, Kostüme
Dr. Niklaus Peter, Pfarrer am Fraumünster, Liturgie