Mein Tag der Ruhe und Entspannung 1/3

von Mathis Neuhaus
erschienen am 19. November 2020

Sich zurückziehen, aussteigen, pausieren, die Teilnahme verweigern. Für das, was man macht, wenn man nichts macht, gibt es viele Umschreibungen. Würdest du mehr schlafen, wenn du könntest? Oder weniger? Oder gar nicht? Wir haben drei Menschen 24 Stunden Zeit gegeben, um auf diese Fragen antworten zu finden. Allein, an einem geschützten, aber nicht gänzlich privaten Ort. Auf den Open Call via Instagram reagierte unter anderem Cassiane Pfund, die als Autorin in Genf lebt. Im nachfolgenden Interview spricht sie über ihre Erfahrungen im Lockdown, Privilegien und das Vermeiden von Routinen.

Mathis Neuhaus: Wie sahen und sehen deine Tage während des Lockdowns aus?

Cassiane Pfund: Sie sehen so aus, dass ich mich viel ausruhe. Ich denke über die derzeitige Lage nach und schreibe, wenn ich kann. Ich versuche, weiter für meine eigenen Projekte zu schreiben. Aber es ist nicht so einfach, das jeden Tag zu tun. Manchmal habe ich den Eindruck, dass der Zustand der Welt einfach zu viel Platz in meinem Kopf einnimmt, als dass ich mich beim Schreiben frei fühlen könnte. Es ist ziemlich schwer. Aber es gibt auch Tage, an denen ich nach draußen gehe, spazieren gehe.

Mathis Neuhaus: Gibt es Routinen, die du versuchst einzuhalten? Vielleicht ist das Schreiben eine davon?

Cassiane Pfund: Ich versuche wirklich, es nicht als Routine zu sehen. Ich habe Angst, dass es sich zu einem automatischen Prozess entwickeln könnte und dass ich mir nicht mehr so bewusst wäre, was ich tue. Wenn du dir jeden Tag deines Lebens die Zähne putzt, mehrmals am Tag, bist du vielleicht irgendwann nicht mehr so konzentriert bei der Sache – zumindest nicht bei jedem Mal. Ich versuche nicht unbedingt immer, das Schreiben zu etwas Besonderem zu machen, aber ich versuche präsent zu sein, wenn ich es tue. Ich schreibe, wenn ich inspiriert bin.

Mathis Neuhaus: Fällt es dir leicht, gar nichts zu tun?

Cassiane Pfund: Irgendwie schon. Besonders jetzt. Es ist November, das ist nicht mein Lieblingsmonat des Jahres, also versuche ich im Bett zu bleiben. Ich habe in meinem Zimmer Stoffe gehängt. Das hilft mir, eine winzige Welt nachzubilden.

Mathis Neuhaus: Die Pandemie dauert nun schon einige Monate an. Welche Auswirkungen hat das auf deinen Beruf, deine künstlerische Praxis?

Cassiane Pfund: Um ehrlich zu sein, war ich während der ersten Welle ziemlich unfähig zu schreiben. Ich musste im Rahmen meiner Diplomarbeit ein Theaterstück fertig stellen, und ich war froh, dass ich nur noch die letzten Änderungen vornehmen und an ihm feilen und nicht etwas ganz Neues schreiben musste. Auch wenn ich zwischendurch meine Meinung über das Stück geändert habe, war das für mich einfacher, als ganz von vorne anzufangen, wirklich. Und dann, als der erste Lockdown im Mai aufhörte, fing ich tatsächlich wieder an zu schreiben und neue Ideen zu entwickeln. Da zirkulierte wieder etwas in mir, und ich hatte das Gefühl: «Oh, vielleicht gibt es neue Perspektiven.» Was meinen Beruf betrifft: Ich bin jetzt fertig mit meinem Diplom, und müsste einen Job finden. Das ist natürlich schwer. Der kulturelle Sektor ist stark betroffen, und das ist eigentlich die winzige Welt, in der ich arbeiten möchte. Im Moment versuche ich, nicht allzu viel darüber nachzudenken, denn es macht mich ziemlich traurig. In Genf gibt es viele alternative Ort für Kultur, die leiden, einige sind seit dem Sommer geschlossen. Ich bin sowohl privilegiert durch als auch dankbar für meine Eltern, dass sie mich noch immer unterstützen. Wenn sie es nicht täten, wäre ich in einer ziemlich prekären Situation. Ich habe meinen Nebenjob auf Grund der Pandemie verloren.

Mathis Neuhaus: Du sagst, dass es dir während des ersten Lockdowns schwer fiel, neue Ideen zu entwickeln. Wiederholt sich das Muster derzeit?

Cassiane Pfund: Es ist schwer, immer noch. Aber ich habe im Sommer neue Projekte begonnen, die Funken zündeten. Ein kleines Feuer, das immer noch im Inneren brennt. Ich kann noch nicht vorhersehen, wie es sich entwickeln wird. Es ist eine interessante Zeit, denn sie zwingt mich, auch das Format des Buches zu überdenken. Ich habe ein paar Verlage angerufen, um Informationen über ihre Pläne für die kommenden Monate zu erhalten. Einige sagten mir, dass sie mit der Planung ihres Programms sehr spät dran seien. Das lässt mich darüber nachdenken, ob ich überhaupt schreiben möchte, um eines Tages veröffentlicht zu werden. Es lässt mich das System als Ganzes neu überdenken. Um Fördergelder oder Residencies zu bekommen, braucht man sehr oft zumindest etwas, das veröffentlicht wurde. Dieses System der Validierung ist immer noch sehr stark und mächtig, es hat viel mit dem Begriff «Wert» zu tun. Ich versuche herauszufinden, was das für meine eigene Arbeit bedeutet und wie ich mich vielleicht davon distanzieren kann.

Mathis Neuhaus: Hältst du dich für einen produktiven Menschen? Oder was hältst du von dem Begriff «Produktivität»?

Cassiane Pfund: Für mich ist es fast schon eine politische Aussage, zu behaupten, dass ich nicht produktiv sein will. Es ist interessant und etwas, über das ich in diesen Tagen viel nachdenke. Ein Plan von mir ist es, Workshops zum Thema Care zu entwickeln. Ich möchte mich wirklich auf den Prozess konzentrieren und nicht nur ein Endprodukt anbieten oder auf ein definiertes Ziel hinarbeiten. Es sollte keine Erwartungen geben, oder zumindest nicht ständig. Es ist etwas, das ich versuche loszuwerden. Ich habe das Gefühl, dass ich mich ziemlich unter Druck setze. Diese Funktionsweise zu dekonstruieren braucht einige Zeit. Ich habe den Eindruck, dass sie sehr eng mit dem kapitalistischen Produktionssystem, in dem wir leben, verbunden und darin verwurzelt ist.

Mathis Neuhaus: Es ist wichtig, den Dingen Zeit zu geben.

Cassiane Pfund: Zeit ist die Hauptzutat. Aber es ist oft ein Privileg, Zeit zu haben, also ist dies auch etwas, das ich versuche, in Frage zu stellen.

Mathis Neuhaus: Was hat dich dazu bewogen, auf den Open Call des Theaters zu antworten?

Cassiane Pfund: Jeder Mensch wacht jeden Tag auf und hat irgendwelche Routinen. Ich glaube, ich wache gerne auf und weiss irgendwo in mir, dass ich etwas Besonderes und anderes zu tun habe. Ich bin ein neugieriger Mensch und fühlte mich durch den Open Call versucht, zu antworten. Ich dachte, er könnte neue Ideen bringen und mir ermöglichen, die Dinge auf eine andere Art und Weise zu reflektieren.

Mathis Neuhaus: Haben sich die 24 Stunden, die du in Zürich verbracht hast, anders angefühlt als 24 Stunden, die du zu Hause verbringen würdest?

Cassiane Pfund: Natürlich, denn die Rahmung war eine andere. Ich habe mich gefragt, weil wir sehr oft das Bedürfnis verspüren, die Dinge in eine Box zu legen und sie entsprechend zu beschriften, was ich eigentlich gemacht habe. War es eine bezahlte Arbeit? Eine Performance? Beides? Verbringe ich wirklich 24 Stunden im Bett oder zeige ich eine Performance, in der ich 24 Stunden im Bett verbringe?

Mathis Neuhaus: Als ich dich nach den 24 Stunden sah, hatte ich den Eindruck, du bist gut gelaunt?

Cassiane Pfund: Die Zeit, die ich dort verbracht habe, hat mir noch stärker bewusst gemacht, dass ich mich glücklich schätzen kann, immer ein Dach über dem Kopf zu haben, wenn ich es brauche. Da ich hinter Fenstern stand, fühlte ich mich ziemlich verletzlich. Aber ich sah auch Menschen, die in dieser Nacht auf der Strasse schliefen, was mich auch über ihre Verletzlichkeit nachdenken liess. «Ruhe» als einen möglichen Heilungsprozess zu betrachten, scheint sinnvoll zu sein; es kann helfen, sich wieder mit sich selbst zu verbinden.

Mathis Neuhaus: Wir haben diesen Begriff in unserem Gespräch schon ein paar Mal angesprochen, aber was hältst du von dem Begriff «Privileg»?

Cassiane Pfund: Wenn man über etwas nicht nachdenken und es nicht erleben muss, ist man bereits an einem Ort des Privilegs. Es ist keine Definition, aber so denke ich über diesen Begriff.

Mathis Neuhaus: Zuletzt: Wenn dir jemand Geld dafür anbieten würde, ein Jahr lang möglichst viel zu schlafen, würdest du es tun?

Cassiane Pfund: Ich würde es vorziehen, dass jemand diesen Job hat, der ihn mehr braucht.


Den nachfolgenden Text schrieb Cassiane Pfund während ihrer 24 Stunden in Zürich. Wir veröffentlichen ihn als zusätzliche Form der Dokumentation, als eigenständiges künstlerisches Werk und als andere Form der Kontextualisierung.

24h00 de repos et de détente

Our wish: that you spend as much time as possible of the 24 hours in bed, best of all you sleep.

16h23.
Petit-Hôtel Reseda.
Les draps ont l’air doux.

Qu’est-ce que ça fait de dormir dans une chambre de catalogue?
Est-ce que le sommeil devient de catalogue?
Et le pyjama le devient-il lui aussi?
Est-ce que tout ce qu’on incarne dans cet espace ne devient pas, de fait,
une
incarnation de catalogue?

Voici donc une documentation de catalogue.

16h36.
TROP SUPER ma tenue est assortie à la lunette des toilettes et au lavabo!

16h51
Dans une dame-jeanne, des fleurs séchées.

17h06.
Les vitres de la chambre sont celles d’un aquarium sans eau. Je ne sais plus qui est dehors et qui est dedans. Des gens passent, toutes sortes de gens.

C’est jeudi.

Les draps sont doux.

17h41.
Il y a longtemps, j’ai rêvé que j’étais un zèbre en captivité.
Au début, je regarde les gens en train de regarder et je me demande ce qu’ils fabriquent là, leur face collée contre la vitre. Je pourrais moi aussi coller ma face en face de la leur, pile en face, créer le trouble.
Les gens qui passent sont d’autres zèbres en captivité.

19h12.
Si un jour tu croises un ours, fais la morte.
Je me fais toute petite dans le lit en pensant aux stratégies de défense qui reposent sur l’immobilité.
NE PLUS MÊME CLIGNOTER DES PAUPIÈRES !

19h30.
Je mangerais bien un sandwich.

20h35.
Les draps sont tachés de soupe miso.
Je ne sais pas faire susuru.
Demain, je prendrai un sandwich.

20h45.
Dans le lavabo rose, du dentifrice.

21h03.

"Les enfants naissent trop tôt. Après neuf mois dans l’utérus, le développement est insuffisant. On commence notre vie avec une absence d’autonomie extrême par rapport aux autres mammifères. […] Il faudrait passer 21 mois dans l’utérus. […] Quand on y réfléchit, tous les enfants naissent prématurés. Pour pallier le déficit de croissance intra-utérine, les adultes […], la société, agissent pendant des années comme […] une couveuse humaine."1

21h24.
On dirait qu’on a banni le repos du GRAND PROGRAMME!
Qui est ce on?
Pourquoi est-ce qu’on a honte de la trêve?
Pourquoi est-ce qu’on a de la peine à dire STOP quand on a besoin de se
reposer?
Et pourquoi, si
on parvient à l’exprimer, l’estomac se crispe par crainte de se fainéantiser et/ou d’être catalogué·e·x panosse desséchée?

Le droit au repos et à l’hibernation devrait être inscrit dans la Constitution!2

21h30.
Je n’ai jamais uriné dans de si jolies toilettes.
L’odeur du savon m’obsède.

21h55.
Dehors, une personne dort sur un banc.

22h01.
Est-ce que si tout le monde avait le privilège de pouvoir se reposer en
sécurité et au chaud,
on aurait moins honte?
Est-ce que j’aurais moins honte?

22h32.
Quand je dors dans un lit pour la première fois, IL FAUT QUE JE ME ROULE DEDANS!

22h35.
Est-ce qu’un sommeil exposé peut être profond?
Quelle sera la profondeur de mon sommeil?

Mein Jahr der Ruhe und Entspannung fait-il office de couveuse humaine?

22h58.
Coups contre la vitre.

23h05.
Je vérifie : porte fermée à clé.
Les rideaux coulissent autour du lit.
Préserver une intimité.

07h15.
Les rideaux coulissent autour du lit.
Soleil.
Des gens passent, toutes sortes de gens.

C’est vendredi.

07h34.
C’est la deuxième fois que j’urine dans de si jolies toilettes.
L’odeur du savon me rappelle celle d’un ancien amant.
Dans le lavabo rose, du dentifrice.

08h09.
En face, Istanbul.

08h15.
L’idée d’être une voisine d’en-face temporaire dans un aquarium sans eau nez-à-nez avec un salon de coiffure nommé «Istanbul» m’est délicieuse. L’idée d’être un zèbre en captivité temporaire dans un aquarium sans eau nez-à-nez avec un salon de coiffure nommé «Istanbul» m’écoeure.


??h??
Regarder l’heure fait frein à une suspension nécessaire au repos.

Plus tard.
Pas de sommeil continu, des assoupissements.
Et entre, des faces contre les vitres, des poissons aux rideaux et des
nouilles sur ma langue.
Il n’y avait pas de sandwich.

Plus tard que plus tard.
Appuyer sur le distributeur de savon.
Encore.
Et encore.
Pour me souvenir un peu.
Dans le lavabo rose, du dentifrice.


Plus tard encore que plus tard que plus tard.
Faut-il allumer les lumières en plein jour?
C’est un magasin.
J’AI DORMI DANS UN MAGASIN!

Un jour, les zèbres deviendront dipneustes.

Les draps étaient doux.


1 La Trajectoire des Confettis, de Marie-Ève Thuot, p.89.

2 Si quelqu’un·e·x ne l’avait pas encore dit, quelqu’un·e·x devait le dire.