I Can’t Believe It’s Not Butter

von Dorothee Elmiger
erschienen am 03. November 2020

Irgendwann an Dick Sutphen gedacht, der in den 1970er-Jahren in Scottsdale, Arizona damit begonnen hat, Hypnose-Sitzungen auf Audiokassetten und VHS-Bänder aufzunehmen und zu vertreiben (Charisma: Drawing People to You; Incredible Self-Confidence; Ultra-Monetary Success: Every day in every way you become more and more successful); daran, wie sich seither in den begrünten Vorstädten, den in die pazifischen Buchten mündenden kalifornischen Canyons, in den Aussenbezirken der Grossstädte, den Wohntürmen der Sanctuary Cities, in den Flughafenhotels des Landes Tausende auf ihre Betten gelegt haben, Boxspringbetten, full size, queen size, weisse Turnschuhe auf Bettüberwürfen, und mit geschlossenen Augen Sutphens Stimme gelauscht haben:

close your eyes
breathe deeply
and relax

and as you do, a quietness of spirit
fills your body and mind

you relax and unwind and let go
let go let go
and begin to drift away drift away

quieting your mind

Das eindringliche Sprechen in den Schlafzimmern, die Selbsteinflüsterungen; die über das Land verstreuten Hypnotisierten als somnambules, turbokapitalistisches Heer, Zombie-Maschinen, die sich unermüdlich rekonfigurieren, neu aufsetzen, reparieren. Ihr orgastischer Lustschrei: I can’t believe it’s not butter!

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N., als wir nach der Vorstellung auf unsere Mäntel warten: Immer, wenn sie ins Theater gehe, drehten die auf der Bühne irgendwann durch; als handelte es dabei um ein ungeschriebenes Gesetz, eine vor dem Publikum empfundene Pflicht, drehten die irgendwann durch.

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Stunden später noch zieht die Frau ihre Kreise auf dem Eis; da liege ich längst schon im Bett, und da läuft sie noch, hat alles abgelegt, abgeworfen bis auf ihre Schuhe, die Schuhe der Eisläuferin, die sie geräuschlos über die Oberfläche der Bühne und durch ihren benzoinduzierten, selbstgewählten Dämmerschlaf transportieren, dreht Runde um Runde, gleichmässig und ruhig dreht sie durch.

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Im Laufe des Abends Erinnerungen an jene Woche im März, als ich Moshfeghs My Year of Rest and Relaxation lese und sich zeitgleich die grosse Schliessung vollzieht: Auffälliges, scheinbar nervöses Blühen der Bäume, ein Brennen, Flackern, während der verordnete Rückzug ins Innere, Private geschieht; plötzliche Verlängerung bzw. Vertiefung des Schlafs.

Davon erzählt uns die sachte entgleitende Eisläuferin, die junge Galerie-Assistentin, die in einer Take-Out-Box liegt und deren narkoleptische joy rides sie in die Schlafzimmer des Palasts von Pankot, die Flure von Kubrick’s Overlook-Hotel und auf die Bühne des Kellerman’s katapultieren: Eine Frau lässt sich gehen, hat sich gehen lassen. Freiwillig lässt sie sich ab- und wegtreten und zieht sich zurück in ihr Upper East Side-Bett.

Da liegt sie nun, ist jung, verfügt über Erbe, einen attraktiven Körper und einen Abschluss, aber ihr Herz ist trotzdem ein Kühlhaus oder ist es die Welt, die ihr als eine grosse Kühle erscheint. Zumindest mag sie, die Atomisierte, die Entfremdete, die so Angeödete, die Welt weder bearbeiten noch zerstören, sie will nur noch schlafen und sich so insgesamt herausnehmen aus ihr, zumindest für ein Jahr.

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Ebenfalls im März: Jess Bergman unter der Überschrift «I’m not Feeling Good at All»[1] im amerikanischen Magazin Baffler, Ausgabe Nr. 50: Sie trete in den seit 2015 erschienen amerikanischen Romanen immer wieder auf, die junge, anhedonische Protagonistin – vereinzelt und benommen wendet sie sich ab von der Welt.

Der neue, blanke Realismus, denuded realism, dessen sich ihre Autorinnen bedienten, sei einer des Mangels, er interessiere sich weder für eine Analyse der ganz realen Ursachen noch für eine Beschreibung der tatsächlichen Folgen der Entfremdung dieser Mitglieder der Leistungsgesellschaft, beschränke sich also auf den realistischen Stil, die Pose; er kenne ein einziges Verlangen, das Verlangen nach nichts (Klonopin, Xanax).

Diese jüngsten amerikanischen Heldinnen, diese müden Heroinen hätten sich immer schon und endgültig mit ihrem Zustand abgefunden; und so wie sie steckten auch diese Texte fest in einer endlosen Schleife: Sie reproduzierten die Apathie und den Überdruss, die sie zu beschreiben versuchten.

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An dieser Stelle scheitert das Stück an seiner Vorlage – muss scheitern, glücklicherweise, denke ich, während Perle Palombe gerade so schön auf der Bühne herumruft («I’M MAKING ART/ I’M MAKING ART/ I’M MAKING ART»), und später, als Dr. Tuttle so schön über sich, Dr. Tuttle, in der 3. Person spricht, als die tote Mutter noch einmal und noch einmal aufersteht und als seliger Alb über die Traumbühne schunkelt – und indem es scheitert, erzählt es stattdessen eben etwas über das Theater oder besser: die drei- oder vierwandige Utopie des Theaters.

Denn – wie N. bei der Garderobe feststellt – das Theater will ja immer etwas, Gebrüll auf der Bühne, Geschrei, jemand dreht immer durch, alle wollen immer etwas ausprobieren, auf die Probe stellen, sich anfassen, angreifen, einander in die Haare, ins Gesicht langen, alle wollen immer berühren, berührt werden, wollen schön sein, wollen sich ausziehen, sich verunstalten, verausgaben, wollen die grosse Geste, Welterklärung, Weltzerstörung, wollen spielen wie Kinder, Hunde, Manische.

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Erinnerung an einen Probenbesuch vor Jahren: Die mir ganz unverständliche Empörung der Schauspieler*innen darüber, dass ihnen der Text nichts in die Hand, nichts zu tun gibt, nichts, womit sie etwas anfangen können.

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Was heute auf der Bühne sichtbar wird: dass das Theater eben ganz ungeeignet dafür ist, die Zustände der trostlosen Heldin – Apathie, Vereinzelung, Indifferenz – zu zeigen, weil das Theater ganz grundsätzlich nicht auskommt ohne das Kollektiv, die Aktion, Interaktion, die Konfrontation. In dieser Zudringlichkeit des Theaters liegt angesichts der Ödnis der Ruhe und Entspannung, angesichts des resignierten Verlangens nach nichts die Rettung: Das Theater kann gar nicht anders, als den Text zu verwandeln, ihn vom Bett zu reissen, ihn zu bevölkern.

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Einmal das kurz aufflackernde Lachen der zwei Frauen auf der Bühne. Nur schon das eine nicht vorgesehene Zugabe: die Lust, das Vergnügen am Text, den sie sprechen.

Sie können das gar nicht: Ich fühle nichts.

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Und dann gleitet sie also über das vorgestellte Eis, die schlafende Läuferin i. R., ihr Körper und seine Bewegung die Antithese zum wunschlosen, statischen Dasein der Anästhetisierten. Zwar ist auch sie, die Eisläuferin, ein Solitär, aber etwas treibt sie fraglos um.

[1]Jess Bergman: I’m not Feeling Good at All. März 2020; https://thebaffler.com/salvos/im-not-feeling-good-at-all-bergman